Samstag, 30. September 2017

Die Staatsanwältin

Die Rettungssanitäter Sandra und Philip sind ein gutes Team. Doch in letzter Zeit hat sich Philip verändert. Er wirkt fahrig und beginnt Fehler zu machen. Während eines Einsatzes stirbt eine Herzinfarktpatientin und es scheint so als hätte sie eigentlich gerettet werden können. Nur wenige Zeit nach diesem Ereignis werden Philip und Sandra zu einer Verletzten gerufen. Ihnen bietet sich ein fürchterliches Bild. Der Frau wurden beide Hände abgehackt und sie ist kurz vor dem verbluten. Fieberhaft beginnt die Polizei mit den Untersuchungen. Verantwortliche Staatsanwältin ist Jana Berzelius, die unnahbare Schöne mit einer Wohnung für Solisten.

Dies ist bereits der dritte Fall für die Staatsanwältin mit der kühlen Persönlichkeit, die mehr in petto hat als man nach den ersten Sätzen vermuten würde. Zwar gibt es etliche Bezüge zu den vorigen Fällen und die Handlung scheint ziemlich nahtlos an Band zwei anzuschließen, aber zwingend ist die Kenntnis der Vorbände für das Verständnis zu diesem dritten Band nicht. Allerdings erwischt man sich schon hin und wieder bei dem Gedanken, es wäre vielleicht doch besser. 

Unabhängig davon fasziniert Jana Berzelius mit ihrem ungewöhnlichen Charakter und ihrem Hintergrund, der sich so schnell mit nichts vergleichen lässt. Die Handlung wird aus der Perspektive verschiedener Personen, der Ermittler, der Sanitäter, der Staatsanwältin geschildert. Die Szenenwechsel erfolgen dabei manchmal recht schnell, was der Handlung Drive vermittelt und was zu mehreren fiesen Cliffhangern führt, die man unbedingt aufgelöst haben muss. 


Die Taten sind an Grausamkeit kaum zu überbieten und man kann sich weder ein Motiv vorstellen noch wie überhaupt jemand auf diese Art handeln kann. Wo ist das Verbindungsstück, der Hinweis, der schließlich alles an seinen Platz fallen lässt. Gemeinsam mit den Beamten tappt man im Dunkeln. Gemeinsam mit der Staatsanwältin geht man eigene Wege, gerät man auf Abwege. Gegen Gemeinsamkeiten mit dem Killer sträubt man sich, auch wenn man vielleicht verstehen kann, dass dessen Kindheit auch nicht  so leicht war. Insgesamt packt es einen und man wundert sich wie schnell die Zeit beim Auffinden einer Lösung zu diesem Fall vergeht. Hier kann man eintauchen und sich gruseln ob der menschlichen Abgründe, die sich auftun, Abgründe, in die man keinesfalls allzu intensiv schauen möchte, die einen aber den Alltag vergessen lassen. Man will am Ball bleiben bis der Gerechtigkeit zum Sieg verholfen wurde. Grundsätzlich tritt das schon ein, gäbe es da nicht den einen oder anderen Punkt, der an an den Ermittlern nagt und darauf hindeutet, dass noch Stoff für einen sicher ebenso empfehlenswerten vierten Fall für die toughe Staatsanwältin im Köcher der Autorin steckt.

4,5 Sterne (🐳🐳🐳🐳+)

Engelsschuld von Emelie Schepp
ISBN: 978-3-7341-0469-5




Mittwoch, 27. September 2017

Die Darlings

Seit Jahren lässt sich Don Norman zur Wahl des Sheriffs aufstellen, bisher hat er immer gewonnen. Louise ist noch mit Tiny Darling verheiratet, aber ihre Beziehung läuft nicht gut. Tiny ist einfach zu eifersüchtig. Don fühlt sich zu Louise hingezogen und beide finden zusammen. Tiny verlässt Grouse County für eine Weile, eckt jedoch überall an. Erst die religiöse Joan scheint im Halt zu geben. Don muss sich derweil auf eine Kampfabstimmung bei der Wahl zum Sheriff einlassen, deren Ausgang zunächst sicher schien, aber wegen des Einsatzes unlauterer Mittel seines Gegners immer unsicherer wird.

In der tiefsten Provinz Amerikas im mittleren Westen leben die Darlings, ihre Freunde, Verwandten und Bekannten. Urtümlich geht es dort zu. Ein wenig scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Nicht dass sie dort mit Pferdekutschen durch die Gegend fahren, aber Häuser und Autos sind älter, eine Erneuerung oder Reparatur täte ihnen gut. Ähnlich scheint es auch mit den Menschen zu sein, bodenständig wirken sie, aber etwas ramponiert und rückständig. Verlassen wollen sie ihre Stadt aber nicht. In ihrer kleinen Welt läuft alles in geordneten Bahnen, viele Überraschungen sind nicht zu erwarten. Doch in der Ruhe liegt auch die Kraft, die diese Menschen ausstrahlen. Nichts kann sie von ihrem Weg abbringen, sie machen ihren Weg.

Aus den drei Teilen „Das Ende des Vandalismus“, „Die Traumjäger“ und „Pazifik“, die in Amerika als einzelne Roman in größeren Zeitabständen erschienen sind, besteht dieser Band. Danach sind auch der Handlung größere Zeitsprünge vorgegeben. Im ersten und zweiten Band werden dabei unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt, die im dritten fesselnd zusammengeführt werden. Das geruhsame und unpolitische Leben im Nichts des mittleren Westens. Tag um Tag vergeht, beinahe eintönig und ereignislos wirkt das Erleben der Bewohner von Grouse County. Doch gerade dies entfaltet einen nicht geringen Reiz. Man beginnt selbst ruhig zu werden und sich die Weite des Landes vorzustellen, mit langsam dahin gleitenden Autos, gemächlich schreitenden Menschen und sich langsam vollziehenden Veränderungen. Obwohl die Bewohner von Grouse County ihre Entscheidungen nicht bewusst zu planen scheinen, passiert letztlich in ihrer Welt doch eine ganze Menge. Gute Zeiten und schlechte Zeiten halten sich die Waage. Wie im richtigen Leben.


Ein ruhiger Roman, der Bilder erstehen lässt, die man gerne in sich aufnimmt und die hoffen lassen, dass die Bewohner von Grouse County ihr mit Zurückhaltung geführtes Leben ohne Störung durch die raue Metropolenwelt weiter leben und erleben dürfen.

4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Grouse County von Tom Drury
ISBN: 978-3-608-10881-1


Sonntag, 24. September 2017

Paris, 1761

Der junge Nicolas Le Floch wird vom Polizeipräfekten als Ermittler eingesetzt. Zum einen soll er das Handwerk lernen, zum anderen aber soll er auch herausfinden, ob andere Ermittler sich der Korruption schuldig gemacht haben könnten. Schon über ein Jahr wohnt Le Floch nun schon im Hause Lardin. Äußerst überrascht ist er als Lardin während des Karnevals eines Abends nicht nach hause zurückkehrt. Grundsätzlich ist Lardin zuverlässig und lässt seiner Frau eine Nachricht zukommen, wenn es einmal später wird. Ist schon Lardins Verschwinden geheimnisvoll, so machen weitere Informationen, die er vom Präfekten erhält, die Sache noch verworrener. 

Was zunächst nur nach einem abgängigen Ehemann aussieht entwickelt sich schnell zu einer Untersuchung, in deren Verlauf es Tote gibt. Wie sich herausstellt, hatte der Vermisste Streit mit zwei weiteren Männern und einer von diesen liegt nun tot in seinem Arbeitszimmer. Auf der Suche nach den Hintergründen des Falles wandert Le Floch durch die Straßen von Paris. Ein Paris, das lange vergangen ist, das jedoch schon damals modern erscheint. Eine Großstadt mit schönen Boulevards, mit Elendsvierteln, mit Reichen und Armen, mit Märkten, mit politischen Intrigen, mit Offensichtlichem und Geheimen. Noch ist Nicolas Le Floch kein gewiefter Ermittler, doch er ist einer, der tief blickt, der hinter die Fassade schaut und der sich Gedanken macht, ob die Dinge tatsächlich so gelaufen sein können, wie es dargestellt wird.

Mit diesem atmosphärischen Paris-Krimi stellt der Autor seinen Ermittler Nicolas Le Floch vor, ein Findelkind, dem immerhin das Glück beschieden war, einem guten Ziehvater gegeben worden zu sein. Der eine gute Ausbildung genießen durfte. In seinem ersten Fall erlebt Le Floch staunend die große Stadt, die er schnell lieb gewinnt. Aufrecht und redlich lässt er sich nicht beirren und kombiniert so lange bis sich ein Sinn in diesem hintergründigen Fall erschließt. 

Dieser intelligente Krimi entführt in ein Paris vergangener Tage und mit seinem sympathischen Ermittler macht er Lust auf mehr und auch Lust darauf, ein wenig nachzuforschen, um herauszufinden, dass es bereits etliche Romane um den jungen Ermittler gibt, der hier erste Meriten erhält, und eine TV Serie wird in Frankreich ausgestrahlt. Eher zufällig entdeckt wurde diese kleine Krimiperle, der man wünscht, sie möge viel Aufmerksamkeit erhalten.


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Commisaire Le Floch & das Geheimnis der Weißmäntel von Jean-François Parot
ISBN: 978-3-89667-573-6




Samstag, 23. September 2017

Pfauenworte

Prinzessin Dylia aus Zamonien leidet an Schlaflosigkeit. Leiden will sie aber so wenig wie möglich, man leidet ja am ehesten dann, wenn man sich unterkriegen lässt. Dylia nennt sich der Einfachheit halber Prinzessin Insomnia und begibt sich in ihren Gedanken auf ungewohnte Pfade, auf denen sie die Schlaflosigkeit mit ihrer Phantasie ausfüllt und sich ablenkt. Doch eines Abends als sie mal wieder besonders schlaflos ist erscheint ihr der Nachtmahr Havarius Opal. Er verspricht ihr eine außergewöhnliche Reise in die Tiefen ihres Gehirn, die für sie allerdings im Wahnsinn enden wird. 

Dylias Forscherdrang ist groß, die Bedrohung, den Verstand zu verlieren, schreckt sie nicht genug, um auf das Abenteuer zu verzichten. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, denkt sie. Den Schlaf kann sie schließlich nicht mehr verlieren. Und so begibt sie sich mit dem Nachtmahr, der ihr bald nicht mehr so schrecklich vorkommt, auf den Weg. So wie ihre Regenbogenerfindungen, sind auch Teile ihres Gehirns. Schillernd und farbenfroh, doch auch mit Tücken und Fallstricken. Und dieser Nachtmahr scheint manchmal arg wenig im Köcher zu haben. Oder lügt er etwa? Und wann? Und wann spricht  er die Wahrheit? 

Eine beeindruckende Persönlichkeit ist Prinzessin Dylia auf jeden Fall. Gäbe es sie in der wirklichen Welt, würde man sie bewundern. Mit nur wenig erholsamen Schlaf auszukommen fällt sicher schwer. Nichts scheint zu helfen, keine Wanderungen durch das Schloss, keine Duftkerzen, keine Massagen, keine langweiliges Geschwätz. Doch Dylia hat in ihrer Gedankenwelt Phantasiegebäude errichtet, die sie begehen kann; Wörter erdacht, die sie erinnert; Regenbogenerfindungen getätigt, die ihr Freude bereiten. Sie gibt sich nicht der Krankheit hin. Sie lässt sich nicht beherrschen, nicht schrecken. Mutig versucht sie das Beste aus ihrer Situation zu machen.

Diese Reise durch Dylias Gehirn nimmt einen gefangen. In immer neue Tiefen begleitet man Dylia und Opal. Mal stürzt man ins Nichts und hofft, doch wieder aufgefangen zu werden. Dichte leuchtende Gedanken wechseln sich mit undurchdringlicher Leere. Und doch ist die Kraft der Gedanken immer da, die Zuversicht eine Lösung zu finden. So eine starke Persönlichkeit wie Dylia wäre man selbst gerne. 


Ein Mut machendes Buch in bester Zamonien-Tradition, das herausragend und phantasievoll illustriert ist von Lydia Rode.

4,5 Sterne (🐳🐳🐳🐳+)

Prinzessin Insomnia & der alptraumfarbene Nachtmahr
ISBN: 978-3-8135-0785-0




Freitag, 22. September 2017

Worlds Apart

Der Lehrer Jason Dessen führt mit seiner Frau Daniela und seinem Sohn Charlie ein beschauliches Leben. Manchmal denkt er, was gewesen wäre, wenn damals alles ganz gekommen wäre. Vielleicht hätte er eine Stelle als Forscher angenommen. Und Daniela? Sie hat für ihre Familie ihre Karriere als Künstlerin aufgegeben. Doch was ist das schon gegen eine glückliche Familie. So denkt Jason als er unversehens nieder geschlagen wird und in einem seltsamen Labor erwacht. Dort scheinen ihn die Menschen erwartet zu haben. Völlig Fremde, die so tun als ob sie ihn kennen, als ob es normal wäre, dass er dort ist.

Nach und nach bekommt Jason eine Ahnung, was geschehen sein könnte. Möglicherweise ist er in einer Welt gelandet, in der sein Leben einen ganz anderen Weg genommen hat. Plötzlich ist er Wissenschaftler, reich und angesehen und allein. Hat er solch ein Leben insgeheim gewollt? Könnte er sich daran gewöhnen? Im Moment ist er eher ein Forschungsobjekt. Er war verschwunden, doch aus welcher Sicht verschwunden? Das gewohnte Dasein hat er schließlich erst vor kurzem verlassen. Jason unternimmt einiges, um zu entschlüsseln wie es zu diesem Ereignis kommen konnte.

Eine Gehirnbeschäftigungsidee könnte dieser Romanansatz bieten. Beim Lesen fängt man tatsächlich an, zu überlegen, ob man sich in dieses Konstrukt hineindenken kann. Gibt es eine Möglichkeit von Welt zu Welt zu reisen? Eine andere Welt, in der das eigene Leben einen anderen Verlauf genommen hat? Möchte man das? Kann man dort alles besser gemacht haben? Und wie ist es mit dem Zustand dazwischen? Der Zustand vor der Entscheidung, in dem beide Möglichkeiten im Raum stehen. Was passiert in der geschlossenen Kiste? Schöne Gedankenspiele, die wirklich fesseln. Allerdings schleicht sich mit der Zeit das Gefühl ein, dass sich der Autor etwas verzettelt hat. Wie ein Flussdelta verzweigt sich die Handlung und man fragt sich, in welche Richtung es sich wenden wird. Einiges kommt schließlich zur Ruhe und einiges bleibt offen. Nach einem packenden Beginn fühlt man sich etwas irritiert. Insgesamt jedoch wird das Gehirn wie zu Beginn gesagt, sehr gut beschäftigt und kann auch nach Beendigung der Lektüre noch eine Weile weitergrübeln über die Möglichkeiten, die solche Welten bieten mögen.

Hauptsächlich aus Jasons Sicht liest Florian Lukas mit angenehmer und fesselnder Betonung. Mit der Stimme von Karoline Schuch kommt auch Daniela zu Wort, von der man gerne mehr gehört hätte.


3,5 Sterne (🐳🐳🐳+)

Dark Matter Der Zeitenläufer von Blake Crouch
ISBN: 978-3-844--53499-4




Dienstag, 19. September 2017

Der Waechter

Die Anwältin Rose Benninghoff wird in ihrer Wohnung ermordet. Im Keller findet die Polizei den Jugendlichen Oliver Baptiste, der wegen seiner blutbeschmierten Hände in Verdacht gerät. Doch kann ein so junger Mensch schon zum Täter werden? Der Junge verfällt zunächst in einen fast katatonischen Zustand und seine Erinnerungen an die Tatnacht sind äußerst lückenhaft. Der Vater, der so schnell wie möglich herbeieilt, ist keine große Hilfe. Als „hohes Tier“ scheint er zu meinen, er habe ein Anrecht auf eine Sonderbehandlung für sich und seinen Sohn. Damit kommt er Kommissar Waechter aber gerade recht. Gemeinsam mit seinen Kollegen versucht dieser genauestens zu ermitteln, was Oliver in der fraglichen Zeit getan haben könnte.

Bei dieser offensichtlichen Lage konzentriert sich die Polizei natürlich auf den Verdächtigen Oliver und seinen Vater. Etliche Auskünfte steuert die beste Freundin und Nachbarin der Toten bei. Doch immer, wenn sich etwas zu verdichten scheint, treten neue Hinweise zutage, die vieles wieder in einem anderen Licht erscheinen lassen. Die Kommissare haben deshalb eine durchaus schwierige Aufgabe zu erfüllen. Kommissar Waechter versucht sich in die Tat und die möglichen Verdächtigen einzufühlen, stößt jedoch manchmal auch an seine Grenzen. Er und sein Kollege Brandl haben mitunter auch mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen, was schon mal den klaren Blick auf den Fall etwas trüben kann.

Andere Beschreibungen zu Büchern der Autorin haben neugierig gemacht, deshalb wurde die Gelegenheit, sich mit ihrem Krimi-Debüt zu beschäftigen gerne wahrgenommen. Neugierig startet man die erste CD und beginnt langsam sich zu fragen, wo es mit diesem Fall hingehen soll. Vielleicht gingen die Erwartungen eher in Richtung eines leicht humorvollen Lokalkrimis und man hat sich somit selbst ein Bein gestellt. Denn dieser Roman ist schon ein beinharter Krimi, dessen geschickte Verschachtelung sich erst spät erschließt. Dennoch ist dieser Beginn einer Reihe interessant. Und die Leserin/Hörerin nimmt sich fest vor, künftig im Vorfeld genauer hinzuschauen. 


Obwohl das Hörbuch von Richard Barenberg sehr einnehmend vorgetragen wird, entfaltet sich beim Hören kein rechter Bezug zu Handlung und zu den Personen. Erst nach und nach gewinnt die Handlung an Profil, so dass man schließlich doch neugierig wird, alle Zusammenhänge zu erkunden.

3 Sterne (🐳🐳🐳)

Kellerkind von Nicole Neubauer
ISBN: 978-3-837-12874-1




Sonntag, 17. September 2017

Palmgren

Für kurze Zeit muss Lisbeth Salander ins Gefängnis. Da man befürchtet, sie könnte in Gefahr sein, bringt man sie im Sicherheitstrakt unter. Schnell durchschaut sie die Vorgänge dort und was sie sieht, gefällt ihr nicht. Eine junge Mitgefangene scheint unterdrückt und misshandelt zu werden. Eine andere dagegen scheint sogar die Wärter in der Hand zu haben. Da muss man doch etwas unternehmen können. Während ihrer Gefangenschaft bekommt Lisbeth auch Besuch von ihrem ehemaligen Vormund Holger Palmgren. Ihn hatte sie gebeten, noch einmal nachzuforschen, ob es in Lisbeths Vergangenheit nicht noch neue Informationen gibt, mit denen sie ihren damaligen Folterknechten auf die Spur kommen kann.

Aus dem Gefängnis heraus kann Lisbeth nicht alles selbst machen und so bittet sie ihren befreundeten Journalisten Mikael Blomkvist ihr bei der Suche nach weiteren Informationen behilflich zu sein. Sie hat nur ein ungutes Gefühl und dieses deutet darauf hin, dass der Hintergrund des reichen Geschäftsmannes Leo Mannheimer genauer untersucht werden sollte. Eine Maschinerie aus Ermittlungen und Nachforschungen beginnt zu laufen, durch die etwas zutage gefördert wird, aus dem für Mikael und seine Zeitschrift „Milleninum“ eine ganz heiße Story werden könnte. Anscheinend ist Lisbeth mit ihrem Schicksal nicht so alleine wie sie immer gedacht hat. 


Mal wieder eines der Bücher, bei denen man gebannt an den Seiten klebt und sich mehr als einmal fragt, wie so etwas zustande kommen kann. Forschung ist ja schön und gut, aber eine Forschung, die das Wohl vieler Beteiligter völlig außer acht lässt? Eine Forschung, bei der es mehr um Stromlinienförmigkeit geht als um eine gesunde Entwicklung? Nicht zum ersten Mal möchte man an gewissen Forschenden verzweifeln, die ihrem Namen überhaupt keine Ehre machen. Und wie so oft bleibt der Gedanke, ob nicht etwas dran sein könnte. Schließlich kennt man Geschichten von Experimenten, die man aus der Nachschau betrachtet, besser nicht erst gestartet hätte. Wo bleiben manchmal Moral und Ethik, wenn es um vermeintlichen Fortschritt geht? David Lagercrantz hat mit seinem zweiten Buch um Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist einen packenden Thriller geschaffen, der unterschiedlichste Personen und ihre Themen zusammenführt. Ein Buch, das Denkanstöße geben kann und möglicherweise den Wunsch weckt, wenigstens zu versuchen, es besser zu machen. 

4,5 Sterne (🐳🐳🐳🐳+)

Verfolgung von David Lagercrantz
ISBN: 978-3-453-27099-2




Samstag, 16. September 2017

Geburtstag

Zum Jahrestag der Gründung der EU-Kommission soll Fenia Xenopoulou einen Festakt organisieren, mit dem sowohl eine Feier begangen werden soll als auch das Image der Kommission aufgebessert werden soll. Fenia, die im Grunde schnellstmöglich wieder von der Kultur weg will, beauftragt Martin Susman mit der Erstellung eines Konzepts. Zur gleichen Zeit zieht einer der letzten Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz, David de Vriend, in ein Seniorenheim; Kommissar Brunfaut versucht einen Mord aufzuklären, der verschwunden ist; Professor Erhart bereitet sich auf eine Rede vor und ein unbekanntes Hausschwein geistert durch Brüssel.

Etliche Geschichten verschiedener Personen, die als Ganzes doch einen Zusammenhang haben. Die Läufe der Brüsseler Bürokratie, die in dem Willen, die Eigenheiten jedes Mitgliedstaates zu berücksichtigen, kaum eine andere Chance hat als sich zu verzetteln. Einer der scheidenden Engländer bringt es auf den Punkt, was die Eliten im britischen Parlament ohne auf das Wohl des Volkes zu achten innerhalb von zwanzig Minuten entscheiden, dauert in der EU Wochen und Monate. Mit Anfragen, Communiqués, Sitzungen endet es in Kompromissen, die die Gepflogenheiten aller EU-Länder berücksichtigen (sollen), in denen sich der Einzelne aber nicht mehr wiederfindet. Was kann die eigentlich hervorragende Europäische Idee des „Nie wieder Auschwitz, nie wieder Rassismus!“ noch retten?

Tja, die normale Öffentlichkeit verlustiert sich mit der Namensgebung eines Schweins, das im Verlauf der Zeit immer mehr zum Phantom wird. Inzwischen werden Morde ignoriert, ein Festakt in der Bürokratie zermalmt, eigentlich bahnbrechende Ideen im Keim erstickt, gehen Erinnerungen mit den letzten Überlebenden verloren und nichts scheint wichtiger als der Absatz von Schweineschlachtabfällen in China. 


Mit seiner beinahe allumfassenden Geschichte über die europäische Bürokratie und ihre Auswüchse fordert Robert Menasse zum aufmerksamen Lesen. Teils kennt man die Strukturen, teils ist man überrascht und manchmal auch erschrocken, hin und wieder belustigt. Doch immer wirkt die Darstellung so, als ob es tatsächlich so sein könnte. Der Alltag in den EU-Behörden könnte so stattfinden. Da kann schon mal ein Pass gewechselt werden wegen der Karrierechancen. Da könnte man nachdenken, welche Bedeutung die eigene Herkunft noch haben könnte. Weiterentwicklung oder Stillstand. Hat die EU noch eine Vision? Eine Frage, die der Autor nicht beantwortet. Je nach Einstellung des Lesers könnte der Roman ein Abgesang sein, durch den die Unmöglichkeit des „Unter einen Hut bringens aller Beteiligten“ nur noch deutlicher wird, oder eine vage Hoffnung auf einen echten Fortschritt in Richtung eines wirklichen Staates EU, in dem die Herkunft nur noch der Name eines Ortes, einer Stadt ist, mit dem aber keine Eigeninteressen einzelner Staaten mehr verbunden sind. Interpretationen der Absicht des Autors bleiben natürlich den Lesern überlassen, doch dass dieses Buch den Anlass gibt solche Interpretationen anzustellen oder gar eine eigene Meinung zu finden, ist geradezu großartig. Vielleicht sollte tatsächlich der Schritt zu einer wahren Union gewagt werden.

5 Sterne (🐳🐳🐳🐳🐳)

Die Hauptstadt von Robert Menasse
ISBN: 978-3-518-79945-1


Donnerstag, 14. September 2017

Der Informant

Kommissar Reuter von der Düsseldorfer Mordkommission bekommt es mit einem schwierigen Fall zu tun. Ein Informant wird brutal ermordet und eine Zeugin verschwindet. So schnell lässt sich kein Motiv für die Tat finden. Nach einer Weile gerät auch der Bruder des Kommissars in Bedrängnis. Er hat wohl den Rückkauf eines gestohlenen Gemäldes vermittelt und wird nun selbst bedroht. Die Tagespresse kümmert sich allerdings weniger um die Fälle der Polizei, sondern mehr um ein Investitionsprojekt, das eigentlich das Image der Stadt verbessern soll, nun aber zu platzen droht.

Viele Spuren führen zum Ziel und vieles ist verbunden, was zunächst keine Verbindung zu haben scheint, ergibt schließlich doch einen Zusammenhang. In der Festung laufen die Fäden zusammen, die aber sorgfältig sortiert werden müssen. Doch nicht jeder scheint ein Interesse daran zu haben, die Fälle aufzuklären. Wer hat da etwas zu verbergen? Gibt es Beziehungen zwischen Verbrechen und staatlichen Stellen? Das kann doch nicht sein, oder? Sind auch einige Kollegen involviert? Jan Reuter gräbt immer tiefer und nicht jede Entdeckung erfreut ihn. 

Auch dieser etwas ältere Roman aus dem Jahr 2007 ist im Bereich der Düsseldorfer Kriminalpolizei angesiedelt. Einige Personen, die man aus späteren Werken bereits kennt, tauchen in einzelnen Szenen auf. Doch wie bei jedem Dezernat wechselt hin und wieder das Personal und so fällt hier die Hauptrolle dem Kommissar Jan Reuter zu. Akribisch ermittelt dieser die Hintergründe zu diesem Fall und fördert immer brisantere Details zutage. Mit Spannung verfolgt man den Gang der Ermittlungen und muss manchmal doch innehalten ob der schier unglaublichen Vorgänge.


Mit angenehmer und den jeweiligen Situationen im Buch angepasster Betonung liest der Autor selbst und erzeugt sowohl Momente der Anspannung als auch solche ruhigerer Gangart. Er ist immer nah bei seinem Werk und schafft es auch die Zuhörer für dieses Buch einzunehmen. Man mag vielleicht für die späteren Kriminalromane mehr Begeisterung aufbringen, doch auch in diesem etwas älteren Roman blitzt schon einiges von dem auf, was später zur Perfektion gebracht wird.

3,5 Sterne (🐳🐳🐳+)

Königsallee von Horst Eckert
ISBN: 978-3-8386-0168-3


Sonntag, 10. September 2017

Nachbarschaftsgeplauder

Weiter geht es mit den Erlebnissen in dem Züricher Mietshaus. Wir schreiben den Sommer 2001. Ein neuer Hausmeister zieht in die Gästewohnung ein. Er will anstehende Reparaturen ausführen und sich gut in die Nachbarschaft einfügen. Dieses stellt sich jedoch als etwas schwierig heraus, denn er bekommt einen geheimen Auftrag von der Genossenschaft. Erich Whyss und seine Frau Gerda erleben einen besonders schönen Abend. Moritz dagegen verbringt den Sommer im Geschäft seiner Eltern. Julia, die dabei ist, sich selbstständig zu machen, muss einige Enttäuschungen einstecken. Und die Schauspielerin Selina steht einem Projekt sehr skeptisch gegenüber, dass man später durchaus als Erfolg bezeichnen kann. Und über allem droht der herannahende September.

Zwar mit Aufs und Abs, aber doch relativ unbeschwert verbringen die Bewohner des Mietshauses den Sommer 2001. Sie haben schwere Stunden zu überstehen, machen Fehler, sie feiern, sie urlauben und arbeiten. Alles ganz normal, bis zu jenem Tag, der wohl für jeden, der ihn bewusst erlebt hat, eine Zäsur darstellte. Ein Tag, von dem man weiß, in welcher Situation einen die Nachricht ereilte, das ungläubige Entsetzen, das langsame Begreifen, dass es eigentlich noch viel schlimmer ist, denn die Welt fühlt sich seitdem anders an. Auch die Bewohner des Mietshauses empfinden nicht anders. Wie sollen sie mit dem Ereignis umgehen, wie soll das Leben weitergehen? Soll ein Zeichen gesetzt werden oder fährt man besser, wenn man gleich zum Alltag übergeht? Schließlich ist die Schweiz doch ziemlich weit weg. 


Das Leben geht tatsächlich weiter, die Zeit verrinnt, die Erde dreht sich unbeeindruckt und andere Nachrichten leider meist weniger guten Inhalts bestimmen die Meldungen. Und so erleben auch die Menschen in ihrem Züricher Mietshaus ihren Alltag mit seinen weniger schönen Momenten und Gefühlen und natürlich auch mit den schönen. Es gibt Trauer, Wut, Enttäuschung, aber auch Musik, Gesang, Freude und Feiern. Wie im echten Leben geht es zu in diesem Mietshaus, dessen Bewohnern keine menschliche Regung fremd ist. Auch in dem zweiten Band der Reihe bringt einem Tim Krohn eine Welt nahe, in dem jedes Gefühl seinen Platz hat. Im Guten wie im weniger Guten dürfen wir Teil einer Gemeinschaft sein, was über die eigenen Empfindungen nachsinnen lässt, manchmal ernst, manchmal schmunzelnd und häufig zustimmend, ob der treffenden Beschreibungen.

4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Erich Wyss übt den freien Fall von Tim Krohn
ISBN: 978-3-86971-151-5


Freitag, 8. September 2017

Innsbruck - Moskau

Innsbruck, Moskau, Madrid und Berlin - das sind die Stationen, an denen sich der Schriftsteller Kurt Prinzhorn im Verlauf der Handlung aufhält. Während eines Autorentreffens in Innsbruck wird in seinem Hotelzimmer eingebrochen. Prinzhorn zeigt die Sache an, doch so recht glaubt man ihm nicht. Wer sollte bei einem Einbruch nichts von Wert stehlen, dafür aber lange schwarze Haare in der Badewanne zurücklassen. Erst später stellt sich heraus, dass doch einige Dinge abhanden gekommen sind. Dennoch ergibt das Ganze keinen Sinn und Prinzhorn konzentriert sich auf das Beisammensein mit den anderen Autoren. Doch immer wieder fühlt er sich beobachtet.

Ein urig-unheimliche Geschichte entspinnt sich zwischen Kurt Prinzhorn und dem unbekannten Täter oder der Täterin. Wie ein dunkler Schatten umweht die vermeintliche Bedrohung das reale Leben des Autors. So ganz geht es ihm nie aus den Gedanken, auch wenn er mit völlig anderen Lebenswirklichkeiten beschäftigt ist. Es nagt an ihm, wer kann etwas gegen ihn haben? Es muss jemand sein, der vieles über ihn weiß, der seine Wege ebenso kennt wie seine Pläne. Wird das Gefühl des Beobachtetwerdens etwa zur Obsession? Spielt es sich in seinen Gedanken ab oder ist es wahr? Heischt er nach Aufmerksamkeit oder bedarf er tatsächlich des Schutzes von Freunden? Kann er sich noch alleine auf die Straße wagen? Vielleicht sollte er es einfach auf eine Konfrontation ankommen lassen.

So recht wird nicht unbedingt klar, was Gerhard Falkner mit seinem Kabinettstückchen bezweckt. Aber die Phantasie des Lesers wird auf jeden Fall angeregt. Wie würde man sich selbst fühlen, wenn man sein Hotelzimmer betritt, es verändert vorfindet und alle bestreiten trotz offensichtlicher Anzeichen, dass ein Fremder das Zimmer betreten haben kann. Wie wäre es, wenn man anfängt, sich bei jedem zweiten Schritt umzudrehen, weil man befürchtet verfolgt oder beobachtet zu werden, wenn man immer mehr nach hinten lauscht? Kann man dann noch im wirklichen Leben sein, kann man das Unheimliche für eine Weile vergessen? Oder geht es nicht darum, geht es mehr um das Leben im hier und jetzt? Muss man sich durch etwas stören lassen, das eigentlich eher eine Kleinigkeit zu sein scheint? Sicher werden Handlung und Erzählweise auf jeden Leser anders wirken und unterschiedliche Gedanken auslösen, doch unbeeindruckt wird vermutlich keiner bleiben.



4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Romeo oder Julia von Gerhard Falkner
ISBN: 978-3-8270-7943-5

hier geht es zum Verlag:



Donnerstag, 7. September 2017

Weg in die Freiheit

Schon ihre Mutter Mabel hat die Flucht ergriffen als Cora noch ein Kind war. Sie hat Cora einfach zurückgelassen. Doch Cora hat sich einen Platz unter den anderen Sklaven erkämpft. Und als Ceasar sie zum ersten Mal fragt, ob sie sich mit ihm auf den Weg in die Freiheit machen will, sagt sie: Nein!. Schließlich ist er neu auf der Plantage und was kann er ihr schon versprechen. Doch nur kurze Zeit später kommt es zu einem Zwischenfall, der für Cora in einer üblen und ungerechtfertigten Bestrafung endet. Ceasars zweiter Anlauf wird daher positiv beschieden und eines Abends verlassen die beiden Sklaven die Plantage.

Amerika in den Jahren vor dem Bürgerkrieg, die Südstaaten mit ihren großen Baumwollplantagen halten an der Sklaverei fest, während die mehr industrialisierten Nordstaaten bereits zu dem Ergebnis gekommen sind, dass die Beschäftigung von schlecht bezahlten aber freien Arbeitern wirtschaftlicher ist. Das Wohl der Menschen hat vermutlich keiner im Sinn, dennoch zieht es Sklaven in die Freiheit und nach Norden. Auf ihrem beschwerlichen Weg, der keinesfalls immer mit einer glücklichen Ankunft im gelobten Land endet, benutzen sie die sogenannte „Underground Railroad“ - ein System von Helfern und Treffpunkten, deren Begrifflichkeiten an die der aufkommenden Eisenbahn angelehnt sind. Wenn man sich die Berichte im Internet betrachtet gab es tatsächliche Bahnlinien wohl nicht, aber die Fluchtrouten und deren Organisation kann durchaus Ähnlichkeiten mit dem System der Eisenbahn aufgewiesen haben. 

Vor diesem Hintergrund entspinnt sich Coras spannende und schreckliche Geschichte. Misshandelt und verletzt, aber ungebrochen, will Cora mehr. Die Farm ist nicht ihr Platz, sie will frei sein, sie will eine Familie, sie will lesen und schreiben können, für ihr Ziel will sie hart arbeiten. Auf der Farm erlebt sie Unbeschreibliches. Doch auch während ihrer Flucht gerät sie in Situationen, in denen sie verächtlich behandelt wird. Immer wieder gibt es Rückschläge und Schicksalsschläge. Kaum ein Fünkchen Hoffnung verbleibt. Jedoch, Cora gibt nicht auf.


Was kann ein Mensch an Verlusten, Misshandlungen, Gewalt und Verachtung ertragen? Was riskieren Menschen um Flüchtlingen wie Cora zu helfen? Wie konnten Menschen dazu kommen andere Menschen als Sache anzusehen? Aufs Eindringlichste schildert Colson Whitehead die zwar fiktiven, aber doch auf viel Wahrheit beruhenden Ereignisse um Coras Flucht. Manchmal scheint es fast unglaublich wie hier Menschen mit Menschen umgehen. Doch leider gibt es auch in jüngerer Vergangenheit Beispiele ähnlich menschenverachteten Verhaltens, so dass man zwangsläufig zu dem Ergebnis kommen muss, dass nichts in diesem Roman allzu weit hergeholt ist. Ein wenig Hoffnung gibt die Underground Railroad, auf deren Linien wenigstens ein kleiner Silberstreif am Horizont aufglimmt. Dennoch wirkt dieser Roman wie eine Tour de Force, von der man allerdings keine Sekunde, kein Wort und keinen Satz missen möchte.

4,5 Sterne (🐳🐳🐳🐳+)

The Underground Railroad von Colson Whitehead
ISBN: 978-0-7088-9840-6




und auf Deutsch:




Mittwoch, 6. September 2017

Die Longlist 2017

Bereits im letzten Jahr habe ich mir ein paar Gedanken zur damaligen Longlist des deutschen Buchpreises gemacht. 

Mein Ergebnis vom letzten Jahr bleibt auch in diesem Jahr bestehen. Die vorgeschlagenen Bücher sind so individuell unterschiedlich, dass es keinen Favoriten geben kann. Eine Leseprobe kann nur einen ersten Eindruck vermitteln, ebenso wie der Name eines Autors vielleicht eine Tendenz. 

So habe ich zum Beispiel von Sven Regener fast alle Bücher gelesen und natürlich würde ich ihm wünschen, dass sein Werk mit einem Preis gekrönt wird. Andererseits gibt es Autoren, mit deren Büchern ich mich ebenfalls beschäftigt habe und deren Art zu schreiben mir nicht so besonders liegt, soll ich denen nun wünschen, ihr Werk möge nicht beachtet werden? Nein, vielleicht liegen mir bestimmte Bücher einfach nicht, weil ich doch am liebsten Krimis lese, Krimis mit der Tat, der Aufklärungsarbeit, der Lösung, Bücher also, die meist sehr strukturiert sind. Bücher, deren Inhalt wie ein Wasserfall hinabstürzt, ohne Punkt oder Komma, ohne Absatz, mit einer Handlung, die nicht greifbar ist, bieten mir einfach keinen Angelpunkt, an dem sich meine Gedanken festhaken können. Mit Sicherheit gibt es viele Leser, denen gerade das gefällt, die sich mit großem Vergnügen in ein solches Leseabenteuer hineinstürzen. 

Gelungen ist in meinen Augen die Mischung bekannter und weniger bekannter Autoren, so haben bereits arrivierte Autoren die Chance einen noch höheren Bekanntheitsgrad zu erreichen und neuere Autoren können sich einem breiten Publikum vorstellen.

Doch auch für mich bietet die Longlist 2017 einige Bücher, die es auf meine Wunschliste schaffen. Natürlich der schon erwähnte Sven Regener, dessen Herr Lehmann mich schon seit seinen Anfängen begleitet. Und noch ein paar andere Schriftsteller haben bereits mit den Leseproben so überzeugt, dass ich auch den weiteren Verlauf der Geschichten kennenlernen möchte.

Mit Spannung dürfen Shortlist und künftiger Preisträger erwartet werden, bestimmt wird ein verdienter Autor gewinnen. Ich kann zwar nicht versprechen, dass ich jedem die Daumen drücke, doch wünsche ich allen gelisteten Schriftstellern alles Gute.

4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)




Die Leseproben zur Longlist des deutschen Buchpreises 2017

Dienstag, 5. September 2017

Mutter macht alt

Cosma Pongs, freischaffende Kriminalschriftstellerin, hat es nicht leicht. Ihre Tochter Paula, Kriminalkommissarin, will einfach nicht mit ihr zusammenarbeiten. Dabei kann es doch keine authentischere Recherche geben als in echten Fällen zu ermitteln. Cosma hat es im Gespür, es wird einen Mord geben. Etwas erschrocken ist sie dennoch als sie und die Mitbewohner in ihrer ü60 Wohngemeinschaft in einem Schrebergarten tatsächlich auf einen Menschenauflauf stoßen, in dem darüber diskutiert wird, die der vor ihnen liegende Besitzer eines der Gärten wohl zu Tode gekommen sein mag. Cosma ist wie elektrisiert - eine echte Leiche, es muss einfach Mord sein.

Cosma und Paula Pongs sind ein Team, das aus Wiederständen zusammengeschweißt ist. Paula erteilt regelmäßig Platzverweise, die Cosma regelmäßig ignoriert. Neugierig sind sie beide, wodurch sich ihre Ermittlungen, bei denen sie sich gerne behindern, hin und wieder auch ergänzen. Ist im Verein der Gartenfreunde also tatsächlich ein Mord geschehen? Zunächst einmal wird schnell klar, dass der Tote nicht besonders beliebt war, ein Paragraphenreiter, der auf die Einhaltung sämtlicher Regeln und Gesetze pochte, wo man es doch eigentlich nicht ganz so genau nehmen muss, solange sich alle einig sind. Doch so ergeben sich etliche Motive, angefangen von dem Nachbarn mit der zu hohen Hecke bis zur Ehefrau, die nicht sehr zu trauern scheint.

Obwohl der Roman in Düsseldorf spielt kommt einem beim Lesen der Beschreibung Cosma Pongs irgendwie der Gedanke an Katharina Thalbach, die in der Soko Köln in einigen Folgen eine schrullige Kriminalschriftstellerin/Privatdetektivin verkörperte. Und so erhält Cosma schneller eine Stimme und ein Gesicht als geahnt. Für die Lektüre ist das keinesfalls schlecht, es trägt eher weiter zur Erheiterung des Lesers bei, der den eh schon mit Witz und Humor gespickten Roman noch besser genießen kann. Wenn in den Nachrichten über viele bedrohliche oder unheimliche Geschehnisse berichtet wird, bietet so ein Cosy-Krimi gerade die richtige Portion Ablenkung und Abwechslung vom trüben Alltag. 


Mag man dieses Genre des humorigen Kriminalromans, wird man von diesem Debüt sehr angetan sein.

4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Tot überm Zaun von Ella Dälken
ISBN: 978-3-453-42164-6




Montag, 4. September 2017

Überflutung

Schon seit über 200 Jahren wohnt Mimis Familie in Miller’s Valley. Und schon seit Jahren reisen Regierungsbeamte durch das Tal, um die Bewohner zu überzeugen, ihre Häuser aufzugeben, damit das Tal für einen Staudamm geflutet werden kann. Den alteingesessenen Bewohnen fällt es schwer ihre Heimat zu verlassen. Reich sind die Menschen in Miller’s Valley nicht. Schon mit elf Jahren muss sich Mimi daran gewöhnen, dass es ihre Heimat nicht mehr ewig geben wird. Ihr ältester Bruder Ed ist bereits aus dem Haus und der mittlere der drei Kinder Tom meldet sich freiwillig zur Armee. In den 1960er denkt Mimi nicht so sehr daran wie es einmal sein wird, zunächst einmal will sie einen guten Schulabschluss machen und vielleicht sogar studieren.

Die Millers sind eine Familie aus einfachen Verhältnissen. Die kleine Farm wirft eigentlich nicht genug ab zum Leben. Die Rechnungen werden eher vom Gehalt der Mutter bezahlt, die als Krankenschwester arbeitet, und von dem Geld, welches der Vater mit kleinen Reparaturarbeiten verdient. Für ein kleines Taschengeld sorgt Mimi selbst, in dem sie Mais verkauft. Dieses allerdings wird ihr oft von ihrem Bruder Tom abgenommen. Im Gegensatz zu Ed und Mimi, die gerne lernen, ist er ein charismatischer Hans Dampf, der mit Schule und Ausbildung nicht viel am Hut hat. Obwohl ihr Leben aus einiger Mühsal besteht, versuchen die Eltern, ihren Kindern eine gute Ausbildung zu geben, einen guten Start ins Leben.

Beim Lesen dieses ruhigen aber eindringlichen Romans fallen einem auch hier einige Talsperren ein, aus denen bei Niedrigwasser schon mal eine Kirchturmspitze herausragt. Ein Anblick, der zum Nachdenken darüber anregt, was wohl für ein Ort zu der Kirche gehört hat und wie es die Bewohner empfunden haben, ihre Heimat verlassen zu müssen. Ähnlich wird es mit dem Tagebau sein, der mitunter Umsiedlungen nötig macht. Wer will schon gerne sein Heim verlassen, seine Scholle, das Haus, das er vielleicht mit eigenen Händen erbaut hat oder das sich schon seit Generationen im Familienbesitz befindet. Familie Miller aus Miller’s Valley erlebt dieses Schicksal, doch ihr Leben wird nicht nur von der drohenden Umsiedlung bestimmt. Sie leben und erleben eine Zeit des Kampfes gegen die Überflutung ihres Tales, eine Zeit des Aufbruchs der Kinder in ihre jeweilige Zukunft, eine Zeit des Alterns von Vater und Mutter, eine Zeit der langsamen Akzeptanz, der Loslösung. Ein schöner Familienroman über das Erwachsenwerden einer Tochter, die ihren Weg macht.


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Unsere Jahre in Miller's Valley von Anna Quindlan
ISBN: 978-3-421-04758-8




Sonntag, 3. September 2017

Fadenkreuz

Die bekannte Düsseldorfer Wirtin Melli Franck wird in ihrem Lokal tot aufgefunden. Der Leiter der Mordkommission Vincent Che Veih übernimmt die Ermittlungen. Völlig unklar ist zunächst ein Mordmotiv. Melli Franck war ein eher unbeschriebenes Blatt und so liegt zunächst die Vermutung nahe, es könnte es um eine Zufallstat gehandelt haben. Schnell jedoch ergeben sich Hinweise, die doch eher auf einen geplanten Mord hindeuten. Spuren führen sowohl ins Drogenmilieu als auch in die rechte Szene. Und so gewinnt der Fall eine ungeahnte Brisanz. Gegen Vincent, der im Rahmen einer Demo gegen Rechts, an der er als Privatmensch teilgenommen hatte, in eine Rangelei geraten war, wird ebenfalls ermittelt. 

Was mit einem relativ harmlos anmutenden Mord beginnt, wächst sich in Vincent Che Veihs drittem Fall zu einer komplizierten und vielschichtigen Ermittlung aus. Drogen, Politik, die Diskussion, wie sich Beamte in der Öffentlichkeit zu verhalten haben vor dem Hintergrund einer Mordserie, die bereits aufgeklärt schien. Für die Ermittler geht es hart zur Sache und für Vincent wird klar, welche seiner Kollegen wirklich hinter ihm stehen und welche eigene Ziele verfolgen. Die Situation ist vertrackt. Doch der Kommissar lässt sich nicht beirren und fährt mit seinen Nachforschungen zur Aufklärung des Mordes und der weiteren Umstände fort. Je tiefer er dabei vordringt, desto unglaublicher und gerade deswegen glaubhafter wird das, was er herausfindet.


Puh, man zweifelt ja schon so manches Mal an den Vorgängen in diesem Staat. Hin und wieder kommt sogar der Gedanke, mit den Machenschaften des Staates ist es ähnlich wie mit den Packungsbeilagen der Medikamente. Je weniger man liest, desto besser, schließlich soll es ja helfen. Und so ist man hin und her gerissen zwischen dem Bedürfnis zu wissen und dem Wunsch, den Kopf in den Sand zu stecken. Schließlich enden viele Dinge, die in der Öffentlichkeit diskutiert werden, mit strengeren Gesetzen und mehr Einfluss für den Staat. Da sollte es aber irgendwann eine Grenze geben. Gerade gegen den Rechtsextremismus müsste viel stärker vorgegangen werden. Natürlich sind auch andere Krawalle zu verfolgen, doch wirken diese im Vergleich harmloser. Beinahe könnte man befürchten, wir seien sie nie richtig losgeworden. Und so kann es nur eine Aufgabe sein, immer wieder zu mahnen, zu verfolgen und gewissen Entwicklungen möglichst früh entgegen zu treten. Gerade in der heutigen Zeit, in der Wahlen oder Abstimmungen mitunter sehr eigenartig ausgehen, wollen wir unsere Freiheit und Demokratie behalten, vielleicht sogar den Glauben an den Staat. Wenn dann im Rahmen einer einfachen Mordermittlung ordentlich aufgerüttelt wird und etliche Fragezeichen im Denkapparat erzeugt wurden, kann das Fazit nur lauten: äußerst lesenswert.

4,5 Sterne (🐳🐳🐳🐳+)

Wolfsspinne von Horst Eckert
ISBN: 978-3-499-27185-4

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