Sonntag, 29. September 2019

Die Wahrheit


Und wieder ist Marcus Williams einem Monster auf der Spur. Immer wieder verschwinden junge Frauen und wenn sie wieder gefunden werden, sind sie tot. Ein normaler Mensch kann nicht so grausam sein. Der Täter wird der Anarchist genannt. Ihm ist es bisher gelungen, sich gut zu tarnen, so dass er nie gefunden wurde. Möglicherweise hat er eine normale Identität mit einer normalen Familie. Wird Williams als Mitglied der Shepherd Organisation dem Täter auf die Spur kommen? Francis Ackerman jr. scheint der einzige zu sein, der ihm helfen kann und Ackerman wähnt sich im Besitz der ganzen Wahrheit.

Im zweiten Band der Reihe um Francis Ackerman jr. ist Marcus Williams schon eine Weile Mitglied bei Shepherd. Er zweifelt an sich selbst. Rechtfertigt seine Tätigkeit für die Organisation alle seine Handlungen. Was für ein Mensch ist er überhaupt. Sein Partner liegt schwer verletzt im Krankenhaus und seine Beziehung mit Maggie läuft auch nicht so. Die Taten des Anarchisten überschatten jede Nachdenklichkeit. Dieser Killer muss einfach gefasst werden. Doch wem kann Marcus trauen, wenn allem Anschein nach nicht einmal der Boss die ganze Wahrheit sagt. Und wieso scheint der Anarchist immer einen Schritt voraus zu sein.

Wenn man die Handlung von allen Gewaltschilderungen und Dämlichkeiten befreit, bleibt ein eigentlich geschickt konstruierter Fall, der mit einigen Überraschungen daherkommt. Allerdings bliebe dann auch nur ein recht dünnes Heftchen. Und so muss man sich von etlichen Grausamkeiten, Gewalttätigkeiten und Dummheiten ablenken lassen. Irgendwann wird das etwas zu viel. So hat man einen übertrieben wilden Wildwestroman, der in Chicago spielt, rasant und spannend und mit einem Twist in der Rahmenhandlung, der bei Erstveröffentlichung des Buches sicher für einen Knalleffekt gesorgt hat. Gut vorstellbar, dass diese Reihe gerade das Richtige für den Urlaub ist.


3 Sterne (🐳🐳🐳)

Ich bin die Angst von Ethan Cross
ISBN: 978-3-404-17078-4


Samstag, 28. September 2019

International


Mick wächst noch in der ehemaligen DDR auf. An seinen Vater kann er sich nicht erinnern. Der kam als Gaststudent aus Afrika und verließ Berlin bald wieder. Und so schlägt sich Mick durchs Leben. Irgendwie hat er eine Künstlernatur, der es am besten in der Club-Szene gefällt. Was Mick nicht weiß, seinen Vater hat es auch nach Leipzig verschlagen und dort hat sein unbekannter Bruder Gabriel seine Jugend verbracht. Inzwischen ist er erfolgreicher Architekt in London. Gabriel ist der, der zielstrebig seine Karriere vorantrieb, geheiratet hat und einen Sohn zeugte.

Die Brüder Mick und Gabriel, nahezu gleich alt wissen sie nichts voneinander. Wegen ihrer dunklen Haut fallen sie auf. Doch sie lassen sich davon nicht beeinträchtigen. Wo Mick mit Leichtigkeit durchs Leben geht und irgendwann feststellen muss, dass er doch nicht mit allem durchkommt, ist Gabriel der Ernsthafte, der bei seinen Großeltern aufwächst und anscheinend viel von der Durchsetzungskraft seines Großvaters übernommen hat. Wo Mick manchmal lügt oder sich die Wahrheit zurechtbiegt, kennt Gabriel keine Lüge. So unterschiedlich die Brüder sind, so suchen sie doch beide nach etwas. Ihr Vater Idris, der ehemalige Medizinstudent, müsste inzwischen in die Jahre gekommen sein. Denkt er noch an seine Zeit in Deutschland.

Eine kunterbunt zusammengewürfelte Familie hat sich die Autorin ausgedacht. Die Geschichte zweier Brüder, die nichts voneinander wissen, ist ein spannender Ansatzpunkt, der die Phantasie beflügelt. Kann ein Zufall sie zusammenführen, werden sie den Vater suchen oder wird der Vater sie suchen. Die Brüder wirken in ihrer Gegensätzlichkeit etwas extrem. Jeder ist auf seine Art eigen und eigentlich kein Familienmensch. Mick als Bruder Leichtfuss erscheint erst spät gesetzt und Gabriel, dem eher drögen, könnte mehr Spontanität gut tun. Die Geschichte entwickelt sich ganz anders als nach dem ersten Gedanken vermutet werden kann. Zwei getrennte Lebensläufe, die auf ihre Art einen unfertigen Eindruck erwecken. Die kluge Idee dieses heutzutage zum Glück nicht mehr so ungewöhnlichen Hintergrundes ist dennoch ansprechend beschrieben.

3,5 Sterne (🐳🐳🐳+)

Brüder von Jackie Thomae
ISBN: 978-3-446-26509-7



Freitag, 27. September 2019

Kriegsreporterin


London leidet im Jahr 1940 sehr unter den Luftangriffen der Nazis. Doch die Bevölkerung trotzt der Gefahr. Die Freundinnen Emmeline und Marigold (Emmy und Bunty) helfen tatkräftig, um die Kriegsfolgen zu lindern. Emmys großer Traum ist es, Kriegsreporterin zu werden. Als sie eine Stellenanzeige eines renommierten Verlagshauses sieht, bewirbt sie sich sofort und bekommt die Stelle. Erst als mit der Arbeit beginnt, merkt Emmy, dass sie Hilfskraft für die Seite mit den guten Ratschlägen (Dear Mrs. Bird) einer Frauenzeitschrift geworden ist. Nun, daraus muss man eben das Beste machen. Und die Frauen, die mit ihren Sorgen und Nöten an die Zeitschrift schreiben, verdienen eine mitfühlende Antwort.

Mrs. Bird findet allerdings die meisten Themen inakzeptabel und so ist es Emmy, die ohne Erlaubnis beginnt, einige Briefe zu beantworten. Emmy und Bunty sind junge Frauen, die in einer schlimmen Zeit versuchen, nicht den Mut zu verlieren. Manchmal ignorieren sie die Bombardierungen einfach. Es wird sie schon nicht treffen. Meist jedoch helfen sie zum Beispiel als Telefonistinnen bei der Feuerwehr. Die Freundinnen sind verlobt. Buntys Bill ist Feuerwehrmann und Emmy Edmund ist Soldat. Trotz der vielen Gefahren, die drohen können, sind die beiden Freundinnen weitgehend glücklich. Einen ersten Wermutstropfen gibt es als Edmund mit einer anderen durchbrennt.

Nicht aufgeben, das Beste draus machen, das beschreibt so in etwa die Stimmung in diesem Roman. Auch in übelsten Zeiten gibt es Momente, in denen ein wenig Glück zu erhaschen ist. Frauen wie Emmy und Bunty scheinen so vielen Rückhalt zu geben. Eigentlich werden sie viel zu selbstverständlich genommen. Nur selten erhalten sie Lob und doch machen sie weiter. Und auch sie sind vor Schicksalsschlägen nicht gefeit. Auch wenn die Kämpfer für die Freiheit im Feld einen wichtigen Beitrag leisten, so sollen doch die im Hintergrund wirken und mitunter eben dieses Rückgrat bilden nicht vergessen werden. Und ihnen gilt dieser Roman mit zwei ganz tapferen Heldinnen, die im Gedächtnis bleiben. Mit leichter Hand wird hier ein ernstes Thema intelligent dargebracht. 


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Liebe Mrs. Bird von A. J. Pearce
ISBN: 978-3-463-40097-6


Montag, 23. September 2019

Liebhaberhaus


Manchmal wird die Fülle des Lebens zu viel und man zieht aufs Land, weil es dort wohl ruhiger zugeht. Die Empfehlung, einen Garten anzulegen, nimmt man gerne an. Natürlich stellt man fest, dass das nicht so einfach ist. Besonders nicht, wenn die Mutter alles besser weiß und einen mit guten Ratschlägen überhäuft. Leider hat sie auch noch meistens recht, sie kennt sich eben aus mit dem Gärtnern. Und wenn da noch ein Liebhaber ist in seinem Liebhaberhaus und der Mann und die Kinder und Irmi und Hermann. Die Ruhe auf dem Land ist auch nicht so das. Vielleicht kann es die Therapeutin richten oder der Analytiker.

Man könnte sich diesen Roman auch gut als App vorstellen. Kurze Kapitel die gut mit Zeichnungen, Fotos oder kleinen Filmen ausgeschmückt werden. Es ist schon klug, sich mit dem Anlegen eines Gartens zu beschäftigen. In der schnelllebigen Zeit heute gibt ein Garten eine tolle Gelegenheit zur Entschleunigung. Man weiß, wie schön es ist, die Blumen zu betrachten, die man selbst eingepflanzt oder ausgesät hat. An einem sonnigen Tag lässt sich die Blütenpracht genießen und die Pflege nimmt man gerne in Kauf. Die Erzählerin des Gartens hat schon eine spezielle Persönlichkeit. Ihre umherflatternden Ideen lassen sich zum Glück gut in dem entstehenden Garten kanalisieren.

Beim Erzählen über den Garten entfaltet sich eine kluge, ein wenig chaotische Geschichte, die die Augen umschmeichelt. Man bemerkt die Eigenheiten der Erzählerin, doch sie entwickelt eine so erfrischende Art, dass sie immer sympathisch bleibt. Sicher wird man einiges am Dorfleben wieder erkennen, wenn man selbst auf dem Land aufgewachsen ist und manchmal etwas genervt, meist aber schmunzelnd denken, ja, so kann es sein. Zugleich erfährt man, dass man einfach drauf los gärtnern kann oder auch planvoll vorgehen kann. Dieser Roman flattert leicht dahin und ist dabei doch gehaltvoll und lebensnah. Ein Jahr im Garten mit seinen Höhen und Tiefen und einer anheimelnden Wärme.

4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Der Große Garten von Lola Randl
ISBN: 978-3-95757-745-0



Sonntag, 22. September 2019

Winterhaus


Der eigentlich schon pensionierte Hilfssheriff Lucian Connally lebt in einem Altersheim. Als seine Gefährtin Mari Baroja plötzlich stirbt, denken alle, sie sei eines natürlichen Todes gestorben. Ihr Leben war hart und entbehrungsreich und so ist ihr etwas verfrühtes Ableben keine große Überraschung. Der alte Sheriff bittet Walt Longmire, die Tote genauer untersuchen zu lassen. Irgendwie hat Lucian es im Gespür, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Sehr zum Unwillen der Verwandten erfüllt Longmire dem alten Freund seinen Wunsch. Er glaubte selbst nicht daran und muss sich eines Besseren belehren lassen. Die alte Dame wurde tatsächlich ermordet.

Dieser erste Tod zieht weitere Überfälle und schließlich auch Todesfälle nach sich. Walt Longmire versucht zunächst mehr über die Verstorbene zu erfahren. Sie war die große Liebe von Lucian Connally und er schuldet es dem alten Haudegen, herauszufinden, wieso Mari sterben musste. Nicht ganz einfach zur Winterzeit und mit Beteiligten, die keine Ermittlung wollen. Die Geschichte Maris will eigentlich nicht ans Licht, doch Longmire lockt sie hervor. Die Wurzeln dieses Falles liegen tief in der Vergangenheit verborgen. Mit seiner einzigartigen Art zwischen bissigem Humor und zielgerichteten Fragen löst Longmire das Rätsel. 

Wenn man einige Folgen der TV Serie gesehen hat, wird man den knarzigen und behäbigen Longmire vor Augen haben. Sein Pech mit den Frauen hat ihn fast zum Einsiedler werden lassen. Doch Sheriff ist er mit Leib und Seele und ein guter Freund ist er obendrein. Wenn er also von seinem Freund und Kollegen gebeten wird, den Tod einer alten Dame zu untersuchen, dann macht er das. Auch wenn es zu mehr Antworten führt als der Freund eigentlich Fragen stellen wollte. Longmire will auch das letzte Geheimnis aufklären. Das schafft er hier auf seine unnachahmliche Art. Die Verbindung des ländlichen Lebens in Wyoming mit seiner gemischten Bevölkerung aus Ureinwohnern und den Zugereisten gibt der Geschichte einen weiteren Reiz. Henry Standing Bear ist ein Charakter für sich, ein weiterer Freund Walts, einer, auf den man sich verlassen kann. Spannende Unterhaltung ist bei Walt Longmire Krimis garantiert.


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Death without Company von Craig Johnson
ISBN: 978-1-44-062197-0


Samstag, 21. September 2019

453 Tage


Es ist schon lange her, dass es für Fiona Griffiths eine richtige Leiche gab. 453 Tage musste sie warten. Nun wird sie zu dem Todesfalls der Archäologin Gaynor Charteris gerufen. Die Akademikerin wurde von antiken Speeren durchbohrt und enthauptet. Fionas Gehirn beginnt mit der Arbeit. Es gibt keinen Grund, die angesehene Wissenschaftlerin zu töten. Da kann auch ihre Assistentin und Doktorandin Katie nicht weiterhelfen. Leider ist Fionas Chef DCI Jackson auf einem Sabbatical und sein Vertreter hat einen fürchterlichen Bart. Kein Wunder, dass Fiona mal wieder Probleme bekommt. Aber wenn der Mordfall doch etwas mit den auf den ersten Blick unbedeutenden Grabungen zu tun hat.

Noch immer ist das Geheimnis um Fionas Herkunft nicht geklärt und die große Ermittlung ist ins Leere gelaufen. Da kann es Fiona beinahe mit der Angst zu tun bekommen. Doch endlich gibt es einen neuen Fall nach Fionas Geschmack. Ein enthauptete Leiche, die Rätsel über Rätsel aufgibt, und eine Verbindung zu walisischen Geschichte. Mal wieder gräbt Fiona nach unmöglichen Verbindungen und gerät mit ihren speziellen Methoden und verqueren Ansätzen mit ihrem Interims-Boss aneinander. Dieser muss jedoch relativ schnell einsehen, dass man Fionas Gedanken nicht ganz von der Hand weisen kann.

Bereits zum sechsten Mal kann man sich über Fiona Griffiths’ spitzfindige Überlegungen freuen. Inzwischen wünscht man sich, so langsam möge herauskommen, was es über Fionas wahre Eltern zu wissen gibt und wie das mit ihrem Vater zusammenhängt. Diese Wünsche geraten über den Ermittlungen im Archäologenmilieu schnell in Vergessenheit. Auf den ersten Blick erscheint der Fall doch zu arg weit hergeholt, aber wie der Autor mit der englischen Geschichte und ihren berühmten Artefakten spielt und mit welcher Chuzpe Fiona an die Sache herangeht, ist einfach zu genial und irrwitzig. Natürlich macht das Verbrechen vor nichts halt, auch nicht vor Dingen, die es nicht gibt. Diesen intelligenten und unterhaltsamen Krimi liest man nicht mal eben so weg, zum Glück. So wird er im Gedächtnis bleiben. 


4,5 Sterne (🐳🐳🐳🐳+)

Fiona - Das tiefste Grab von Harry Bingham
ISBN: 978-3-499-27509-8


Donnerstag, 19. September 2019

Black Car


Seit sechs Jahren lebt Stella Johannsen unter einem Damoklesschwert. Sie fürchtet, es könnte etwas über den Unfall herauskommen. Und nun steht seit Tagen ein fremdes Auto in ihrer ruhigen Wohnstraße. Zwei Menschen sitzen eher reglos darin. Und nicht nur Stella, fragt sich, was Sinn und Zweck der Aktion ist. Versuche, diese Leute einfach zu fragen, führen nicht zu der gewünschten Antwort. Und Stellas Mann, ein Pilot, ist wie fast immer unterwegs. Er kann nicht so einfach seinen Flugplan ändern. Stellas Gedanken kreisen um die beiden im Auto, vielleicht sind sie tatsächlich ihretwegen hier.

Wieder und wieder scheitern Stellas Versuche, ihren Mann zu kontaktieren. In ihrer Not geht sie selbst daran, sich zu helfen. Zum einen spricht sie mit einem befreundeten Therapeuten, der ihr durchaus hilfreiche Ratschläge erteilt. Zum andern versucht sie die Nachbarn auszuhorchen. Vielleicht hat ja einer der anderen auch etwas zu befürchten. Seltsamerweise kommt sie den Nachbarn dabei näher als jemals in den letzten Jahren. Auch die Erinnerung an den Unfall vor sechs Jahren plagt sie. Sie hat doch gebüßt, wieso soll es denn noch nicht vorbei sein. 

Dieses Buch lässt einen etwas zwiegespalten zurück. Natürlich bietet es eine spannende Lektüre. Schwierig wird es allerdings, dass außer dem älteren Nachbarn kaum eine der handelnden Personen große Sympathie weckt. Die sich an ihren Mann klammernde Stella nervt. Ihr Ehemann, der ihre Wünsche häufig kühl abwiegelt, kommt einem nicht gerade wie ein Traummann vor. Es fehlt der Moment, in dem man sagt, gut so. Dennoch fesselt dieser Thriller, man kann sich einer gewissen Neugier nicht erwehren. Was hat es mit den Nachbarn auf sich? Streitet da einer mit dem andern? Oder helfen sie sich? Bewundernswert ist es mit welchem detektivischen Geschick Stella daran geht, die Geheimnisse aufzudecken. Schließlich braucht sie ihren Mann kaum noch und doch bleibt er ihr ein und alles. Wenn man diese Art von Roman mag, bei dem man sich nicht mit den Protagonisten identifizieren möchte, und eine spannende interessant verwickelte Lektüre genießen kann, wird man hier die letzte Seite zufrieden umblättern.

3 Sterne (🐳🐳🐳)

Einer wird sterben von Wiebke Lorenz
ISBN: 978-3-651-02541-7


Mittwoch, 18. September 2019

Schattentiger


Levi will überhaupt nicht, dass seine Mutter tot ist. Das macht sie aber auch nicht wieder lebendig. Levi will weder zur Beerdigung, noch will er die Sachen anziehen, die sein Vater ihm bereitgelegt hat, Levi will nich, dass seine Mutter beerdigt wird. Levi klaut die Urne und haut ab. So hat seine Mutter zumindest eine ungewöhnliche Trauerfeier. Der 11jährige Levi muss es ertragen, seine Mutter verloren zu haben. Sein häufig abwesender Vater ist keine große Hilfe. Mehr Hoffnung setzt der Junge da auf Vincent, der im selben Haus wohnt oder Kolja, der einen Kiosk betreibt und eigentlich Fotograph ist.

Mit diesem Debüt ist die Autorin für den Aspekte Literaturpreis nominiert und das wohl zurecht. Mit großem Einfühlungsvermögen versetzt sie sich in Levis Welt, die in Trümmern liegt. Ebenso  unerträglich wie es für Eltern ist, ihre Kinder zu verlieren, so unerträglich ist es auch für kleine Kinder und Jugendliche ihre Eltern zu verlieren. Aus den Erinnerungen Levis, seinen Gesprächen mit Vincent und Kolja und seinem Misstrauen dem Vater gegenüber entspinnt sich eine Geschichte, die einem die Haare zu Berge stehen lässt. Jeder hat seine eigenen Probleme und Levi hat es besonders arg getroffen. Niemand ist da, an den er sich lehnen kann. Die sehr indirekte Entwicklung des Geschehens verleiht der Story tatsächlich einen besonderen Reiz. Als Leser fühlt man sich in seinem Innersten angesprochen von diesem Jungen, der Unerträgliches ertragen musste. Levi ist mit einer Wirklichkeit konfrontiert, die für ihn kaum zu fassen ist, die er aber nicht ändern kann. In diesem tollen Roman wird ein Junge viel zu früh in die Welt der Erwachsenen gestoßen. Mit beinahe detektivischen Geschick versucht er, sich selbst die Fragen zu beantworten, die sich nach diesem großen Verlust stellen. 

Ein toller Debütroman, der einen etwas überrollt und in weiten Teilen sehr berührt. Die Stimmung des Buches ist ausgesprochen gut eingefangen durch die Leserin des Hörbuchs Jasna Fritzi Bauer.

4,5 Sterne (🐳🐳🐳🐳+)

Levi von Carmen Buttjer
ISBN: 978-3-8648-4597-0



Dienstag, 17. September 2019

Der Aufrechte


Im Jahr 2010 leben Christen und Muslime relativ friedlich nebeneinander in Damaskus. Kommissar Zakaria Barudi blickt nach über 40 Dienstjahren seiner Pensionierung entgegen. Noch einen Fall möchte er aufklären. Es geht um den Tod eines Kardinals, der in einem Ölfass an die italienische Botschaft geliefert wurde. Warum war der Kirchenvertreter im Land und weshalb wurde er ermordet? Zunächst gibt es wenige Anhaltspunkte und der Kommissar stößt bei seinen Nachforschungen auf Widerstand. 

Obwohl man meinen könnte, es handelte sich bei diesem Handlungsrahmen um eine kriminalistische Geschichte, greift diese Beschreibung wohl zu kurz. Am Ende seines Arbeitslebens angelangt, zieht Kommissar Barudi Bilanz. Der Enthusiasmus zu Beginn seiner Laufbahn ist der harten Realität gewichen. Dem Regime ist nicht immer an einer ordentlichen Aufklärung gelegen. Etwas, was der Kommissar nicht vermissen wird. Seine allzu früh verstorbene Frau vermisst er dagegen immer noch schmerzlich. Doch ist mit dem Eintritt ins Pensionärsdasein nicht auch eine Zäsur des Lebens verbunden? Könnte er nicht einen Neubeginn wagen? Erstmal jedoch muss er herausfinden, von wem der Kardinal getötet wurde. Hilfe findet er bei dem italienischen Kommissar Mancini.

Über die reine Krimihandlung hinaus wird ein Bild der Gesellschaft in Damaskus gezeichnet. Kommissar Barudi, der mit Religion nicht mehr viel am Hut hat, ist abgeklärt und desillusioniert. Seine Arbeit war ihm zwar immer wichtig und er hat sie gewissenhaft ausgeführt, aber den Anforderungen des Regimes mochte er nie genügen. Nun freut er sich schon auf die kommende Pensionierung. Sein Kollege aus Italien ist ein echter Lichtblick, wobei die beiden durchaus Parallelen in der Organisation ihrer Behörden feststellen können. Noch ist alles relativ friedlich, doch der kommende Bürgerkrieg wirft erste Schatten voraus. Die eindringliche, schonungslose und ausführliche Schilderung der Verhältnisse bietet einen interessanten Überblick über das Leben in Damaskus. Gekonnt wird dieses Hörbuch vorgetragen von Udo Schenk und Jürgen Tarrach. Ist man mit arabisch-stämmigen Autoren nicht so vertraut bietet das Hörbuch eine sehr gute Alternative zum Buch.

3,5 Sterne (🐳🐳🐳+)

Die geheime Mission des Kardinals von Rafik Schami
ISBN: 978-3-8697-4387-5



Sonntag, 15. September 2019

Neuanfang


Von Lisbeth hat Mikael Blomkvist schon länger nichts gehört und er muss feststellen, dass ihre Wohnung jemand anderem gehört. Fast eine willkommene Ablenkung ist da ein Anruf aus der Gerichtsmedizin. Ein Obdachloser wurde tot aufgefunden, der im Besitz von Mikaels Telefonnummer war. Nach einigen Überlegungen kann sich Blomkvist sogar an den Mann erinnern, der offensichtlich verwirrt war, allem Anschein nach aber doch eine Art Mission hatte. Lisbeth Salander hält sich recht weit entfernt von Schweden auf, mal wieder ist sie auf der Jagd nach den losen Enden ihrer eigenen Vergangenheit. 


Wie kommt ein obdachloser Mensch, der nach ersten Untersuchungen aus Asien zu stammen scheint, in eine Fußgängerzone in Stockholm. Offensichtlich war der Mann in körperlich und auch psychisch sehr schlechtem Zustand. Doch wie die Gerichtsmedizinerin feststellt, ist der bedauernswerte Kranke nicht einfach so gestorben. Es bleiben nur zwei Möglichkeiten, entweder der Mann hat sich selbst getötet oder jemand hat nachgeholfen. Und so ist es die Rechtsmedizinerin Fredrika Nyman, die Mikael Blomkvist kontaktiert. Schnell stellt sich heraus, dass der Tote ein Geheimnis in sich trug und dass es Leute gibt, denen nicht daran gelegen ist, dieses an die Öffentlichkeit zu bringen.

Sehr spannend ist das Geschehen um den unbekannten Toten. Wie und weshalb kam er nach Stockholm? Nicht zu viel soll verraten werden, es macht einfach Spaß gewisse Sachen beim Lesen selbst zu entdecken. Vor diesem packenden Teil der Handlung wirkt Lisbeths Part fast etwas nebensächlich. Zwar sind sie und Mikael freundschaftlich verbunden, aber doch sehr entfernt. Kaum einmal kommt es zu einer Zusammenarbeit. Lisbeth macht ihren Weg, wenn auch unter Schwierigkeiten, die es in sich haben und in die letztlich auch Mikael hineingezogen wird. Dieser Roman um Mikael Blomkvist und ein wenig Lisbeth Salander ist nie langweilig, wobei besonders die Aufklärung der Hintergründe um den toten Obdachlosen hervorgehoben werden können. Diese Geschichte rockt. Und wenn Lisbeth Salander neu anfangen will, dann sei ihr alles Gute beschieden.
4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Vernichtung von David Lagercrantz
ISBN: 978-3-453-27100-5


Samstag, 14. September 2019

Im Überschwang


Die Opernsängerin Iris Schiffer ist glücklich. Sie hat ein Engagement an der New Yorker Met und die Salzburger Festspiele winken. Ihre etwas unerwartete Schwangerschaft soll da kein Hindernis sein. Iris ist selbstständig und da gibt es keinen Mutterschutz, aber sie hat gehört, dass Schwangere keine Aufträge mehr bekommen. Was also tun? Am besten Nichts. Zunächst mal lebt Iris so weiter als habe sich nichts verändert. Weder ihren Auftraggebern noch den beiden möglichen Vätern oder der Familie sagt Iris etwas. Sie macht das mit ihrer Schwangerschaft erstmal mit sich selbst ab. Ewig wird sich ihr Zustand zwangsläufig nicht verbergen lassen.

Nicht so einfach, für neue Rollen zu lernen und gleichzeitig an das werdende Kind zu denken. Sind die vielen Reisen etwa nicht gut für den kleinen Wurm? Wird sie überhaupt weiter singen können? Momentan ist die Stimme der 39jährigen so gut wie noch nie, sie kann nicht sicher sein, dass das so bleibt. Und wird sie Schwangerschaftsbeschwerden haben und was wird die Familie sagen? Und immer wieder die Inszenierungen, an denen Iris unbedingt teilnehmen will. Angebote sind halt auch Chancen, die nicht verpasst werden dürfen, Chancen, die man nur einmal bekommt. 

Viel erfährt man über das Innenleben der singenden Schwangeren oder der schwangeren Sängerin. Der Wille, die Karriere nicht zu kurz kommen zu lassen. Die Sorge, mit dem Kind könnte etwas sein. Der Wunsch nach einem sorgenden Vater. Die Begründung für die Geheimhaltung. Man taucht ein in das Seelenleben der Iris Schiffer, es mäandert zwischen den Polen der Karriere und der voranschreitenden Schwangerschaft. Die Idee der Autorin, dies einfach mal zu thematisieren, ist ausgesprochen ansprechend. Sie ist eine moderne Frau, die selbst entscheidet. Und vieles, was sie sich vorgenommen hat, schafft sie auch. Obwohl sie sich auf ihre Männer stützt, wenn es möglich ist oder sie es für nötig hält, bleiben diese doch eher blass. Es ist Iris, die Sängerin, die sich in ihre Rollen hineinsingt und summt, die ebenso Eindruck hinterlässt wie Iris, die Schwangere, die ihr werdendes Kind umsorgt. Ein ungewöhnliches Thema, dass gelungen aufbereitet und gefühlvoll serviert wird.

4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Cherubino von Andrea Grill
ISBN: 978-3-552-05964-1





Sonntag, 8. September 2019

Lieblingsoma


Als der Autor das Mal davor seine Großmutter in Višegrad besucht hat, war sie noch gesund. Energiegeladen ist sie mit ihm in das Heimatdorf des Großvaters gefahren, auf den Berg, wo etliche Stanišićs lebten und etliche auf dem Friedhof liegen. Doch den Lebenslauf zu seinem Einbürgerungsantrag beginnt er nach vielen Versuchen mit einer Schlittenfahrt. Und eine Erinnerung führt zur nächsten, eine Geschichte zur anderen. Geburt, Flucht, ein Leben als Flüchtling in den 1990ern als aus dem Vielvölkerstaat Jugoslawien viele kleine Staaten wurden.

Irgendwie wiederholen sich die Einwanderungs- und Flüchtlingswellen und leider auch die Reaktionen der Alteingesessenen. Die Fremden sind eben fremd und nicht unbedingt willkommen. Ein Fünkchen Hoffnung könnte der Gedanke geben, dass es doch viele immer wieder geschafft haben. Und jeder eingedenk der wiederholten Wellen, sollte sich jeder erinnern, so wie es der Autor beschreibt, wo seine Herkunft liegt. Nun, so bildhaft und eindringlich wie der Autor wird es einem vielleicht nicht gelingen, aber der Gedanke zählt. Und häufig wird man in der eigenen Vergangenheit oder der der Vorfahren eine Wanderungsbewegung finden. Der Migrationshintergrund ist manchmal alles andere als weit weg. Es könnte ein Anreiz sein, es den Neuankömmlingen etwas leichter zu machen. 

Die Schilderungen von Saša Stanišević berühren. Sie pendeln zwischen Humor und Ernsthaftigkeit. Sie beinhalten eine Familiengeschichte wie sie war oder wie sie ungefähr war. Leicht hat es der Junge nicht gehabt, aber er hat sich durchgekämpft, er hat es geschafft. Und irgendwann war die Herkunft irgendwie zweigeteilt. Die Wurzeln der Geburt werden nicht vergessen und doch wird neu verwurzelt. Beim Lesen fühlt man mit. Die Eltern opfern viel für ihren Sohn, er soll es einmal besser haben. Die Oma erdet ihn, sie bleibt die Verbindung in die Geburtsheimat. 

Man wird zum Nachdenken angeregt, über die eigene Herkunft. Das Schicksal der eigenen Eltern und Großeltern. Der Schluss liegt mehr als nahe, dass Krieg und Vertreibung nun wahrlich nicht erstrebenswert sind. Doch gibt die Lektüre viel Positives an Kraft und Hoffnung. Und ein Gedenken an die eigene Lieblingsoma.

4,5 Sterne (🐳🐳🐳🐳+)

Herkunft von Saša Stanišić
ISBN: 978-3-630-87473-9




Samstag, 7. September 2019

Die Morgenröte


Vor dreißig Jahren machten sie sich auf zu einer Tour, eine Gruppe Jugendlicher. Sie kehrten zurück, aber eine fehlt. Die vierzehnjährige Aurora ist verschwunden und ihre sterblichen Überreste werden erst viele Jahre später entdeckt. Damals selbst noch ein Jugendlicher übernimmt DCI Jonah Sheens nun die Untersuchung. Was ist damals wirklich passiert? Ist das junge Mädchen ermordet worden oder war es ein Unfall? Verheimlichten die anderen aus der Gruppe etwas? Alles, was vor Jahren schon erfragt wurde, muss noch einmal gesichtet werden. Sollte es Lücken geben oder sind Fehler passiert. Die Beteiligten von vor dreißig Jahren werden nochmals eingehend befragt.

Gut verfolgen kann man, wie schwierig es ist, die Ermittlungen nach so langer Zeit wieder aufzunehmen. Für die verwaisten Eltern ist das Leben irgendwie stehen geblieben, doch das Leben der anderen ging weiter. Sie leben nicht mehr am Ort, sie haben Karriere gemacht, sie erinnern sich nicht mehr. Die junge Kollegin Hanson übernimmt es unter anderem, die alten Akten zu sichten. Mit ihrer frischen Sichtweise entdeckt sie tatsächlich ein zwei Ungereimtheiten, die zu neuen Ansätzen führen. Doch die Befragungen ergeben zunächst nicht viel. Die Ermittler müssen einfach tiefer graben.

Der Gedanke, ein Verschwinden könnte auch nach dreißig Jahren noch aufgeklärt werden, ist sehr  phantasieanregend. Gleich beginnt man zu überlegen, was wohl wirklich passiert ist. Die geschickt eingestreuten Rückblenden tun ihr übriges, um den einen oder anderen Verdacht zu wecken, um ihn bald wieder ad absurdum zu führen. Hier spielt die Autorin gekonnt mit dem Leser. Sehr wirklichkeitsgetreu schildert sie die Puzzlearbeit, die die Polizei zu leisten hat. Da muss tatsächlich beinahe jeder Stein wieder und wieder umgedreht werden. Dass dabei auch irreführende Spuren aufgetan werden, ist kein Wunder. Zu Beginn zwangsläufig etwas langsam nimmt die Handlung schließlich immer mehr an Fahrt auf, um weiter in eine Art Traumwelt zu führen, die nur schwer nachvollzogen werden kann. Teilweise fragt man sich, wieso einige Ereignisse nicht einfach im Laufe der ersten Ermittlung geklärt wurden. Doch insgesamt bietet dieser Roman eine interessante Handlung, die auf einer tollen Grundidee basiert.

3,5 Sterne (🐳🐳🐳+)

Bis ihr sie findet von Gytha Lodge
ISBN: 978-3-455-00621-6



Freitag, 6. September 2019

Der Eröffnungsfilm


Es ist mal wieder Berlinalezeit. Heute soll der Eröffnungsfilm laufen. Der Kinosaal ist gut gefüllt, wie immer an solchen Abenden mit reichlich Prominenz. Allerdings steht dem gespannten Publikum ein Schock bevor, der an denn Weltsicht rüttelt. Anstelle des erwarteten Werkes läuft ein Film, in dem eine junge Frau ermordet wird, zumindest sieht es sehr echt aus. Tom Babylon und seine Kollegen beginnen fieberhaft zu ermitteln. Schließlich scheint in der vermeintlich Getöteten die Tochter des Bürgermeisters Otto Keller erkennbar zu sein. 

Auch in seinem zweiten Auftritt hat Kommissar Tom Babylon gemeinsam mit der Psychologin Sita Johanns einen kniffligen Fall zu knacken. Besonders für Sita wird es zu einer Begegnung mit einer Vergangenheit, die sie am liebsten vergessen hätte. Doch auch Tom, der weiterhin nach seiner Schwester sucht, die schon als 10jährige verschwunden ist, muss einiges ertragen. Schwierig werden die Nachforschungen auch durch die Nähe zur Prominenz, die mit gebotener Vorsicht anzupacken ist und aus deren Reihen mitunter gemauert wird. Bald jedoch ist es vorbei mit der Rücksichtnahme, denn es geschieht ein zweites Verbrechen.

Der Autor hat sich hier eines spannenden Themas gewidmet, einem Teil einer DDR-Vergangenheit, den die Betroffenen sicherlich noch nicht überwunden haben. Auch die Verquickung der Beteiligten untereinander ist verwickelt und doch immer präzise geschliffen, da passt jedes Teil. Es bietet sich ein Bild der Vergangenheit, das man vielleicht nicht kennen möchte, das man zum Begreifen zumindest dieses Teils des Systems aber kennen muss. Eindringlich beschrieben sind auch die Bezüge zum persönlichen Umfeld der Ermittler. Auch in deren Gegenwart wirkt die Vergangenheit hinein. Mit diesem mitreißenden Kriminalroman versteht es der Autor, ein brisantes Thema anzupacken und gleichzeitig mit einem packenden Fall zu fesseln. Und am Ende ist klar, dass die Geschichte von Tom Babylon noch nicht auserzählt sein kann.

4,5 Sterne (🐳🐳🐳🐳+)

Zimmer 19 von Marc Raabe
ISBN: 978-3-8437-2119-6



Montag, 2. September 2019

Drei Frauen


Seit Kurzem ist Orna geschieden, ihr Sohn leidet noch sehr unter der Trennung. Wie jede gute Mutter unternimmt Orna alles, um es ihm leichter zu machen. Doch manchmal muss Orna auch an sich selbst denken. Deshalb hat sie sich in einem Dating-Portal angemeldet. Das scheint nicht viel zu bringen. Irgendwann beginnt sie einen Chat mit einem Rechtsanwalt, der einen ähnlichen Hintergrund hat wie sie. Insbesondere ist er auch geschieden. Treffen will sich Orna erstmal nicht mit ihm. Ihre Scheidung ist noch zu frisch und sie glaubt, noch nicht offen für eine Beziehung zu sein.

Dieser Roman ist schon besonders konstruiert. Um nicht zu viel zu offenbaren, hält man sich mit näheren Angaben zum Inhalt am besten zurück. Es ist auch zu empfehlen, das Interview mit dem Autor, das am Ende des Romans abgedruckt ist, tatsächlich erst nach der Lektüre des Buches zu lesen. Der Autor ist bisher mehr von seinen Krimis bekannt. Hier wagt er sich auf ein anderes Terrain vor. Eine Art Spannungsroman hat er schon geschaffen, aber doch ganz anders als gewohnt. Schnell findet man sich in Ornas Welt hinein, schimpft über ihren Mann, der sich mit seiner neuen Familie einfach nach Nepal abgesetzt hat. Wie konnte er seinen Sohn verlassen und sich noch nicht mal regelmäßig melden. Man freut sich, dass Orna so langsam wieder etwas auftaut und offener wird für Neues. Nach und nach wird jedoch die Spannungskomponente stärker und man beginnt sich zu fragen, wo das hinführen soll. Der Romanleser wird langsam durch den Krimileser ausgetauscht und das Detektivgen beginnt mit seiner Arbeit. Welche Spuren hat der Autor ausgelegt, welche Lösung hat er parat. Vielleicht werden nicht alle Fragen beantwortet, doch die herausragende Komposition dieses Buches lässt kleine Schwächen schnell vergessen. 


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Drei von Dror Mishani
ISBN: 978-3-257-27084-2


Sonntag, 1. September 2019

Im Rausch


Harry Hole ist an einem Tiefpunkt angelangt. Seine Frau Rakel hat sich von ihm getrennt und er hat wieder begonnen zu trinken. Im Kommissariat bekommt er nur die einfachsten Arbeiten, da kann er erstens nicht viele Fehler machen und muss auch zweitens nicht suspendiert werden. Eines Morgens erwacht er nach einer durchzechten Nacht und kann sich nicht erinnern, was er getrieben hat. Erst ein Kollege kann ihn über Bruchstücke aufklären. Bald schon wird Hole zum Schauplatz eines Mordes gerufen und während er noch darüber nachdenkt, ob er nicht lieber in die Kneipe will, muss er sich etwas stellen, was er sich nicht einmal in seinen schlimmsten Träumen vorstellen wollte.

In seinem zwölften Fall wird Harry Hole wirklich alles abverlangt. Sein ganzes Leben gerät aus den Fugen und sein Arbeitsplatz in Gefahr. Ist es wirklich sein Rückfall in die Alkoholsucht, die alles in Frage stellt? Seine Fähigkeiten zu ermitteln und Lügner zu entlarven hat Hole nicht verloren und so klär er fast nebenbei einen Fall, den die Kollegen schon mit dem Stempel gelöst ad acta gelegt hatten. Wenn er nur in seinen eigenen Belangen so hellsichtig wäre. Doch dieser Filmriss ist ausgesprochen hinderlich. Und ein Opfer, dass seinen Vergewaltiger am liebsten nicht anzeigen möchte, trägt nicht dazu bei, etwas einfacher zu machen.

Weder Harry Hole hat es leicht in diesem Buch noch der Leser. Einiges ist so eben noch erträglich, was einen Kern der Geschichte ausmacht. Zu sehr versinkt Harry Hole im Suff, vielleicht dienen die Gründe als Entschuldigung für den Rückfall. Andererseits allerdings ist der Fall sehr ausgeklügelt. Versucht man selbst, einen Verdächtigen zu finden, kann man durchaus falsch liegen. Und so bleibt man am Ball, um herauszufinden, wie die Zusammenhänge sind. Fast gegen seinen Willen ist man gefesselt und gespannt. Mit diesem Kriminalroman greift der Autor tief in die Kiste der persönlich verwickelten Ermittler, nicht durchgängig hat das dem Buch gutgetan, aber dennoch wird man mitgerissen von der rasanten Story.


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Messer von Jo Nesbø
ISBN: 978-3-8437-2007-6