Sonntag, 26. Juli 2020

Teilzeitbulle

1992: Ein paar Tage im Monat muss Detective Inspector Sean Duffy auf der Wache erscheinen, damit er in ungefähr zwei Jahren seine volle Pension einstreichen kann. Mit seiner Lebensgefährtin Beth und der gemeinsamen Tochter verbringt er die anderen Tage in Schottland, wo von den Troubles nicht viel zu spüren ist. Nun hat es aber einen Toten gegeben und die anderen Kommissare sind aus verschiedenen Gründen nicht verfügbar. Obwohl Sean eigentlich zu seiner Familie will, gibt er dem sanften Druck seines Chefs nach. Es sieht nach einer einfachen Sache aus und den Ruhm für eine schnelle Aufklärung will Duffy keinem anderen Revier gönnen.

Die Zeiten ändern sich. Das hat auch Sean Duffy bei seinem achten Auftritt inzwischen festgestellt. Nicht umsonst genießt er den Frieden im nicht ganz fernen Schottland. Doch immer noch schaut er jedes Mal, wenn er ins Auto steigt, ob nicht doch eine Bombe darunter befestigt ist. Aber auch die Straßen in Nordirland verändern sich mit dem Auftreten des politischen Teils des IRA. Aber dieser Tote bereitet Duffy und seinen Kollegen mehr Schwierigkeiten als erwartet. Und vielleicht muss oder will Duffy doch auf seine alten Fähigkeiten zurückgreifen, um den Fall zu knacken. 

Die Sean Duffy Reihe des Autors ist immer sehr lesenswert, wobei es nicht notwendig ist, jeden Band zu kennen. Bei der Lektüre denkt man sich, diese Zeiten können die Menschen doch nicht zurückhaben wollen. Katholiken gegen Protestanten, Nordirland gegen die Republik Irland. Gemeinsam sollte es doch besser gelingen. Doch leicht ist es nie, sich von alten Gewissheiten zu verabschieden. Der belesene und musikbegeisterte Duffy hat mal wieder einen Knochen, in dem er sich verbeißen kann. Man bekommt den Eindruck, dass das Leben in Schottland doch etwas zu ruhig ist. Doch je näher Duffy an die Hintergründe kommt, desto größer wird die Gefahr. Und je mehr man als Leser begreift, in welche Richtung es geht, desto mehr ist man gefesselt. Die politische Lage der frühen 1990er ist so geschickt eingeflochten, dass der Roman gleichzeitig lehrreich und spannend ist. Ein kluger Krimi, aus einer Reihe, die nicht enttäuscht.

4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Alter Hund neue Tricks von Adrian McKinty
ISBN: 978-3-518-47060-2


Freitag, 24. Juli 2020

Wolfsgericht

Es ist Winter in der Provence. Captaine Roger Blanc hätte nicht geglaubt, dass es so kalt werden kann. Es ist jederzeit mit Schnee zu rechnen. Nachdem es jetzt über ein halbes Jahr her ist, dass er in die Provence versetzt wurde, ist es sein erster Winter hier. Die Tage sind ruhig. Doch eines Abends kommt die Nachricht, dass Wölfe mehrere Schafe gerissen haben sollen. Obwohl eigentlich nicht zuständig, übernehmen Blanc und Tonon den Fall. Es wird sich wohl nur um eine kurze Ermittlung handeln, schließlich sind noch nie Wölfe in der  Gegend gesichtet worden. Am Ort des Geschehens stellt sich die Sache doch recht unheimlich dar.

In seinem siebten Fall bekommt es Capitaine Roger Blanc mit einer Urangst der Menschen zu tun, der Angst vor dem Wolf. Die Menschen in der Umgebung meinen, dass die Wölfe zu viele Tiere töteten. Wie lange mag es dauern bis sie einmal einen Menschen erwischen? Doch die Tiere stehen unter Naturschutz und die ortsansässige Försterin versucht, die Bewohner des Ortes zur Vernunft zu bringen. Denen jedoch reicht die Entschädigung nicht, die sie für die toten Schafe erhalten. Der Wolf muss getötet werden, bevor er schlimmeres anrichtet. Und so gestaltet sich der vermeintlich einfache Fall doch schwieriger. Es gilt nicht nur, aufzuklären, wie der Wolf ins Tal kam, nein, es müssen auch die Menschen davon abgehalten werden, erst richtiges Unheil anzurichten.

So ein gut durchdachter und dabei doch leicht zu lesender Krimi ist gerade das Richtige für einige laue Sommerabende. Da stört es auch nicht, dass die Handlung im Winter angesiedelt ist. Vielleicht erhöht ein kühles Getränk noch die Urlaubsstimmung, in die einen das Buch versetzt. Besonders in diesem Jahr, wo es mit dem echten Urlaub nicht so weit her ist, bietet dieser Roman eine schöne Ablenkung. Das Wiederauftauchen der Wölfe ist ein spannendes Thema, dass nicht nur in Frankreich immer häufiger auf der Tagesordnung steht. Interessant, wie unterschiedlich die Menschen damit umgehen. Vom Aberglauben bis zur Vernunft ist alles dabei. Das Setting zwischen alten Häuserruinen trägt ein Übriges dazu bei, einem einen Schauer über den Rücken zu jagen. Und das nur, um im nächsten Moment erstaunt zu sein, wer sich nächtens alles so im dunklen Wald herumtreibt. Alles in allem ein packender Krimi, der gekonnt aus dem Alltag entführt.

4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Verlorenes Vernègues von Cay Rademacher
ISBN: 978-3-8321-8121-5


Donnerstag, 23. Juli 2020

Tante Poldi und Dings

Es ist Ruhe eingekehrt, fast schon zu viel Ruhe für Tante Poldi. Die Schwermut, die sie und ihre Familie schon überwunden glaubten, ist dabei zurückzukommen. Die Bekanntschaft mit dem feschen Winzer Avola wirkt ungemein stimmungsaufhellend. Dass Poldi so in ihren nächsten Fall stolpert, kann sie nicht ahnen. Allerdings nach einer interessanten Nacht, die etwas im Nebel liegt, wird in Avolas Weinberg eine Tote gefunden. Genauer gesagt, Poldi findet sie bei ihrem Morgenspaziergang. Entsetzt muss Poldi feststellen, dass es sich um die sympathische Wahrsagerin Giuliana handelt, welche Poldi erst kurz vorher aus der Hand gelesen hat. 

Wie auch im ersten Band fungiert Poldis Neffe, der aus München anreist, als Poldis Chronist. Eigentlich möchte er einen großen Familienroman verfassen, aber Poldi meint, dass er sich viel besser eignet, ihre Fälle aufzuzeichnen. Und so erzählt sie ihm haarklein, wie es diesmal wieder anfing. Wie ihr zwei Todesfälle unterkamen, denen sie unbedingt auf den Grund gehen wollte. Und was mit Kommissar Montana war und dem Dings. Und dass, sie sich an Avola, den mit den Unterarmen, und das Dings nicht so richtig erinnern kann. Der Neffe muss mal wieder über seinen Schatten springen.

Von Phillip Moog hervorragend interpretiert läuft Tante Poldi zu bester Form auf. Vor ihrer exzentrischen Persönlichkeit, der sie mit deutlichen Worten und Schimpfworten Ausdruck verleiht, muss der Fall schon fast in den Hintergrund treten. Und doch kann sie nicht vermeiden, dass sie über Spuren oder Tote stolpert. Der Winzer Avola bietet eine Verlockung, die sie auf Abwege bringen könnte. Ob Montana damit einverstanden sein kann? Oder hängt alles irgendwie ganz anders zusammen. Tante Poldi, die sowohl dem Detektiv spielen und dem Dings nicht abgeneigt ist, stiftet auch andere zum Schnüffeln an und kommt schließlich auf den größeren Zusammenhang. Dabei reißt sie zwar alles an sich, überstrahlt aber auch alles irgendwie. Da muss der Neffe relativ anonym und im Hintergrund bleiben. Ein unterhaltsames Hörbuch, das besonders von der tollen Interpretation des Vorlesers lebt.

3,5 Sterne (🐳🐳🐳+)

Tante Poldi und die Früchte des Herrn von Mario Giordano
ISBN: 978-3-7857-5221-0


Dienstag, 21. Juli 2020

Plötzlich Italien

Gerade hat Simona, die Garten- und Landschaftsbau studiert hat, ihren Job verloren und sie fragt sich, wie sie ihr Leben weiterführen möchte. Ihre Großmutter Franca ist ihr in allen Lebenslagen eine Stütze. Doch nun verstirbt sie plötzlich und kann Simona nicht mehr helfen. Eigentlich. Überraschend vererbt Franca ihrer Enkelin ein Haus in Belmonte. Von diesem Haus hat Simona nicht einmal etwas gewusst. Natürlich wusste sie, dass Franca aus Italien stammte, aber sie glaubte, ihre Großmutter habe keinen großen Bezug mehr dorthin. Eigentlich will Simona das Haus verkaufen, aber zumindest ansehen will sie es sich. Und vielleicht die unbekannte Familie entdecken.

Es geht nicht nur um Simona. Francas ungewöhnliche Vergangenheit spielt eine wichtige Rolle und auch die ihrer Mutter. Überhaupt Mütter und Töchter. Was bringt sie dazu so oder so zu handeln. Manchmal neigt die Welt und auch die Verwandtschaft dazu, vorschnell zu urteilen. Hinter irgendwelchen lapidaren Worten können sich wahre Schicksale verbergen. Und um die Kinder zu schonen, wird häufig das Wichtige verschwiegen. Was wird Simona herausfinden? Wird Francas Wunsch in Erfüllung gehen? 

Der Autorin ist hier ein wirklich herzerwärmender Familienroman gelungen. Ausgehend vom zweiten Weltkrieg bis in die Gegenwart erzählt sie die Geschichte von Simonas Familie. Dabei sind die Frauen, von denen erzählt wird, durchweg sympathisch. Sie alle haben einiges durchgemacht und sind sich dabei treu geblieben. Starke Frauen, die etwas wagen, die zu träumen wagen. Nicht immer ist ihnen das Glück hold, doch sie versuchen immer das Beste daraus zu machen. Die italienische Gabe zur Improvisation kommt ihnen dabei zugute. Auch wenn der Roman einige etwas sehr beschreibende Passagen enthält, fesselt diese spannende Familiengeschichte. Die unbekannten Seiten der Vorfahren zu entdecken, ist nicht nur für Simona spannend, sondern auch für den Leser. Auch im wahren Leben kann man sagen, kennt man die Eltern, kennt man auch sich selbst besser. Angekündigt ist dieser Roman als erster Teil einer Reihe und gerade weil Simonas Geschichte auserzählt wirkt, ist man neugierig wie die Autorin an den nächsten Teil herangehen wird.

4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Belmonte von Antonia Riepp
ISBN: 978-3-492-06201-5


Freitag, 17. Juli 2020

Elternzeit

Der Polizeiseelsorger Martin Bauer ist nun schon eine Weile in Elternzeit. Es gefällt ihm ganz gut, für Frau und Tochter da zu sein. Doch als seine Frau Sarah ihn für eine jugendliche Freundin um Hilfe bittet, sagt er natürlich nicht nein. Dass er damit wieder näher an seine Arbeit herankommt, ahnt Bauer in dem Moment nicht. Er möchte der jungen Yildiz einfach nur helfen, ihren Freund Leon Berger von einem Motorradclub loszueisen. Nur kurze Zeit später wird die Leiche einer jungen Frau auf einem Schrottplatz gefunden und Leon Berger ist der Mordverdächtige. Etwas passt an der Geschichte nicht, Yildiz ist sicher, dass ihr Freund kein Mörder sein kann.

Auch in seinem dritten Fall kann der Polizeiseelsorger Martin Bauer es nicht lassen, zu ermitteln. Obwohl er in der Elternzeit logischerweise nicht in die Polizeiarbeit eingebunden ist, kommt er als Unterstützung seines Vertreters mit dem Fall in Verbindung. Und er glaubt Yildiz, die von der Unschuld Leons überzeugt ist. Leon Berger, der vaterlos immer nach Halt gesucht hat und glaubte, dies im Motorradclub zu finden, ist Bauer gegenüber allerdings ausgesprochen misstrauisch. Er ist alles andere als überzeugt, dass es sinnvoll wäre sich zu stellen. Da haut er lieber erstmal ab.

Martin Bauer und die Kommissarin Verena Dohr sind wirklich ein gutes Gespann. Zwar sind sie nicht immer einer Meinung, aber sie funktionieren als Team. Da kann man die Elternzeit schon mal außer Acht lassen. In diesem neuen spannenden Fall können sie dennoch eben wegen der Elternzeit nicht so eng zusammenarbeiten. Und Bauers Dickkopf ist hinlänglich bekannt, wenn er den Eindruck hat, er wird gebraucht, dann setzt er sich schon mal über Anweisungen, sich rauszuhalten, hinweg. In diesem Fall um einen Motorradclub und sein neuestes Mitglied erlebt man einige Überraschungen und es wird deutlich, dass es mit einer Wildwestromantik nicht allzu weit her ist. Die Sache kann gefährlich werden. Vielleicht kommt die Sache etwas langsam in Gang, aber dennoch entfaltet sich ein packendes und interessantes Geschehen. Polizeiseelsorger Martin Bauer versteht es, seine Leser zu fesseln.

4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Todestreue von Peter Gallert und Jörg Reiter
ISBN: 978-3-548-06038-5


Dienstag, 14. Juli 2020

Stimmung

Zufällig treffen sich die Freundinnen Marie und Elsa nach Jahren wieder. Es ist als wäre es gestern gewesen, dass sie sich das letzte Mal gesehen haben. Wieso haben sie sich überhaupt aus den Augen verloren? Vier beste Freundinnen, Elsa, Marie, Fanny und Lenica und etliche gemeinsam verbrachte Sommer in ihrer Jugend. Ja, da war dieser letzte Sommer, der alles veränderte. Der sie alle prägte. Der Sommer und Sean, ein Kinderfreund von Lenica. Elsa ist sehr froh, dass die Freundinnen gemeinsam beschließen nach den langen Jahren wieder ein paar Tage in dem alten Ferienort zu verbringen.

In der Jugend erscheint die Zeit unendlich, die Sommer wärmer und länger. Man glaubt, immer noch Zeit zu haben, um Probleme zu besprechen. Doch in den mittleren Jahren als sich die Freundinnen wieder treffen, wissen sie schon, dass man nicht mehr alles verschieben sollte. Sie wollen den Sommer genießen, aber sie wollen sich auch an jenen Sommer erinnern. Gab es ein Geheimnis, welches sie schließlich dazu gebracht hat, sich voneinander zu entfernen. Es fällt den Frauen nicht leicht, irgendwie ist es so als würden sie den Sommer von damals noch einmal durchleben. Doch auch Neues hält das Leben für die Freundinnen bereit.

Für dieses Buch muss man wohl in der richtigen Stimmung sein. Ist man das nicht wirkt der Roman etwas schwülstig und auch nicht sehr wirklichkeitsnah. Zu einer richtigen Liebesgeschichte fehlt etwas Entscheidendes und zu einer tiefgreifenden Tragödie fehlt irgendwie der Tiefgang. Ist man jedoch in der richtigen Stimmung, kann dieses Buch durchaus eine ergreifende Geschichte der Freundschaft der Frauen darstellen. Zugleich bietet das Buch einen Streifzug durch das sommerliche Frankreich und tut damit der Ferienstimmung gut. Man wünscht sich selbst ein Ferienhaus in einer angenehmen Gegend, in der man dann fast schon dazugehört, auch nach Jahren wieder. Man mag mit ein wenig Wehmut auf die Jugend zurückblicken, doch nachdem man ein Resume gezogen hat, kann man auch freudig in die neue Zukunft blicken.

3,5 Sterne (🐳🐳🐳+)

Unsere glücklichen Tage von Julia Holbe
ISBN: 978-3-328-60110-4


Montag, 13. Juli 2020

Außerplanmäßiger Halt

Steppach freut sich auf seine erste Fahrt als Zugführer durch den Gotthardtunnel. Die Strecke hat er gebüffelt und nun ist es so weit. Die schweizer Bahn ist pünktlich und genauso wie auf die Fahrt freut sich Steppach auf den Abend zu hause. Doch mitten im Tunnel kommt es zu einem plötzlichen Halt. Die Verbindung zur Basisstation ist abgerissen und der Strom ist ausgefallen. Steppach und seine paar Kollegen stehen vor einem Rätsel. Noch machen sie sich keine großen Sorgen, ein Hilfstrupp wird bald eintreffen und sie rausholen. Doch die Zeit verrinnt und die 300 Fahrgäste werden immer nervöser.

Dieser Roman fängt eigentlich ganz harmlos an. Man denkt, der Zug hat eine Panne und das wird schon wieder. Irgendwer repariert den Stromausfall und die Fahrt kann weitergehen. Allerdings drängt sich den Bahnmitarbeitern je länger dieser Stillstand dauert der Gedanke auf, dass sie wohl selbst eine Lösung finden müssen. Dass die Passagiere langsam etwas merken, lässt sich nicht verhindern. Die Lehrerin Corinna Abramovicz, die mit ihrer Klasse aus Berlin kommt, ist eine der ersten, die beginnt Fragen zu stellen. Sie ist auch diejenige, die Pläne schmiedet, um vor allem auf ihre Schüler bei Laune zu halten. So langsam wird die Lage unheimlich.

Ungewöhnlich und interessant ist das Setting dieses Romans. Der Zug in einem abgeschlossenen Tunnel und keiner weiß, was die Ursache der Störung ist. Geschickt steigert der Autor dabei das Geschehen. Nach und nach sickert die Erkenntnis ein, dass es wohl ein größeres Ereignis gegeben haben muss. Auch wenn sich die Geschichte manchmal etwas langsam entwickelt und sich die Wechsel der Perspektive erst nach einer Weile erschließen, macht das Buch jedoch immer so wissbegierig auf den Fortgang der Handlung, dass man einfach bei der Stange bleiben muss. Wie diese Eingeschlossenen Glück haben, dass besonnene Menschen die Leitung übernehmen und es nicht zu Unruhen kommt. Dieser Umgang mit einer Katastrophe weckt Hoffnung, dass die Menschen vielleicht doch fähig sind sich zusammenzuraufen. Eine besondere Note bekommt das Buch durch den sehr überraschenden Schluss. Da hat man etwas, worüber es sich nachzudenken lohnt.

4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Der Tunnel von Hans Leister
ISBN: 978-3-7109-0053-2


Donnerstag, 9. Juli 2020

Frauenmord

Der Sommer in der Provence könnte so schön sein. Endlich haben es Dr. Leon Ritter und seine Freundin Isabelle geschafft, gemeinsam frei zu bekommen. Sie wollen ein verlängertes Wochenende in einem schönen Hotel verbringen. Doch kurz vor dem ersehnten Urlaub  geschieht ein Unfall, bei dem eine junge Frau zu Tode kommt. Bei seiner ersten Untersuchung stellt Ritter fest, dass die Verstorbene Verletzungen aufweist, die nicht zum Unfallgeschehen passen. Ist die junge Frau etwa garnicht durch den Unfall gestorben? Gemeinsam mit ihrem Bruder hatte sie vor nicht allzu langer Zeit geerbt und  die Geschwister waren sich uneinig, wie sie mit ihrem Erbe umgehen wollen.

Es ist bereits der sechste Fall, in dem Dr. Leon Ritter, den es nach dem Tod seiner Frau von Frankfurt in die Provence verschlagen hat, ermittelt. Oder eigentlich nicht ermittelt, als Rechtsmediziner untersucht er die Leichen und versucht auch die kleinsten Hinweise auf die Todesursache zu finden. Dass er sich dabei Gedanken macht und seine guten Verbindungen zu Polizei, ist schon bekannt. Isabelle ist auch in diesem Fall die zuständige Beamtin, die hartnäckig und gleichzeitig kreativ nach dem Täter sucht. Ganz im Gegensatz zu Polizeichef Zerna, der am Liebsten die erste beste Lösung nimmt, um einen Fall schnell abzuschließen.

Bei einigen Krimi-Reihen freut man sich, alte Bekannte wieder zu treffen. Und diese gehört gewiss dazu. Bis zu den Nebenfiguren sympathisch besetzt, könnte man sagen. Le Lavandou ist ein Ort, in dem es sich leben lässt und über den man gerne liest. Beinahe unfassbar, dass in so einem idyllischen Urlaubsort überhaupt Verbrechen geschehen können. Und doch sind Isabelle und Leon nicht arbeitslos. In einem spannenden Fall wollen sie auf die Spur des Mörders kommen. Eine Spur, die nicht leicht zu finden ist und die so den Leser immer bei der Stange hält. Urlaubsfeeling und ein packendes Geschehen, dafür ist diese Reihe immer gut. 

4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Dunkles Lavando von Remy Eissen
ISBN: 978-3-548-29127-7


Sonntag, 5. Juli 2020

Katzige Leute

In zwölf Geschichten erzählt die Autorin vom Leben in der heutigen Zeit (vor Corona und vielleicht auch nach Corona). Ohne ins Detail zu gehen, um Überraschungen nicht vorweg zu nehmen, die Stories haben meist einen Twist, mit dem der Leser einen Spiegel vorgehalten bekommt. Will man so sein, sind die Leute tatsächlich so? Manchmal glaubt man es kaum, manchmal ist man etwas angeekelt, manchmal bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Die Erzählungen sind ganz schön fies, aber auch ganz schön fesselnd. Sie lösen etwas aus. Die Autorin hat den Ton getroffen. Man will sich abgrenzen und weiß doch, es ist nicht immer so, aber es ist was dran. Und so sind die beschriebenen Menschen und ihre Erlebnisse schräg und eckig. Damit sind sie unterhaltsam und gleichzeitig mit Widerhaken versehen.

Als Hörbuch genossen, bekommen die Erzählungen noch einen besonderen Reiz. Denn um ihren eine Sprache zu geben, wurden unterschiedliche Sprecher gewählt, die gut zu den Stories passen. Mit dieser besonderen Note empfiehlt sich dieses Buch auch denen, die den  Kurzgeschichten sonst nicht so offen gegenüber stehen.

4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Cat Person von Kristen Roupenian
ISBN: B07P19DN3Q


Samstag, 4. Juli 2020

Wegen Agla

Wegen Agla hat Sonja es gewagt, ihre Ehe zu beenden. Ihr Ex-Mann hat Sonjas Beziehung zu einer Freu zum Anlass genommen, für den gemeinsamen Sohn das Sorgerecht zu beantragen. Obwohl der Junge damit nicht glücklich ist, darf er nur einmal im Monat zu seiner Mutter. Diese hat sich allerdings auch von üblen Typen abhängig gemacht, für die sie regelmäßig ins Ausland reist. Dies ist dem Zollbeamten Bragi aufgefallen, seine Spürnase hat angeschlagen, er weiß nur noch nicht, wie er seine Ahnung einordnen soll. Agla hat neben ihrer Beziehung, die sie verheimlicht, berufliche Probleme.

Die Geschichten von Sonja, Agla und Bragi verbinden sich auf unerwartete Weise. Alle drei sind in verschiedenen Arten von Zwangslagen. Sonja unternimmt alles, um mehr Zeit mit ihrem Sohn verbringen zu können. Bragi möchte eine bessere Betreuung für seine kranke Frau. Und Agla versucht, einem Verfahren wegen Wirtschaftskriminalität zu entkommen. Unterschiedlicher könnten sie kaum sein und doch kreuzen sich ihre Wege. 

Mit den kurzen Kapiteln und damit schnellen Szenenwechseln kommt sofort Spannung auf beim Lesen. Dennoch dauert es eine Weile, bis man als Leser herausfindet, wie ungefähr die Verbindungen gezogen werden. Ein klassischer Ermittler-Krimi ist dieses Buch nicht, es wirkt eher wie ein Thriller, in dem sich die Anspannung eher aus der Handlung an sich ergibt. Und so kann es sein, dass einem möglicherweise eine Person fehlt, mit der man sich identifizieren kann. Anderseits macht gerade dies auch einen Reiz dieses Romans aus, denn die handelnden Personen sind nicht holzschnittartig gut oder böse. Sie unterliegen den Umständen, die ihnen das Leben auferlegt oder die ihnen von Dritten angetan werden. Der Konstruktion des Buches merkt man an, dass die Autorin auch Stücke für Bühne und Fernsehen schreibt. Als Serie würde sich dieser spannende Thriller, bei dem es sich um den Beginn einer Trilogie handelt, sicher gut machen. Auch wenn man mit den Protagonisten nicht so ganz warm wird, reißt einen die Handlung mit. 

3,5 Sterne

Das Netz von Lilja Sigurđadóttir
ISBN: 978-3-8321-6519-2


Donnerstag, 2. Juli 2020

Internat so genannt


Siem Coburg hat den Tod seiner Freundin gegen Ende des zweiten Weltkriegs nie verwunden. Als der alte Bauer Tammens in bittet nachzuforschen, wieso dessen Enkel gestorben ist, macht er sich nur widerwillig auf den Weg zu dem Heim für geistig behinderte Jungen. Das Heim wird Internat genannt und von katholischen Mönchen geleitet. Sie geben Siem, der sich als Journalist getarnt hat, zunächst bereitwillig Auskunft. Doch bald merken sie an seinen bohrenden Fragen, dass mehr hinter seinen Nachforschungen steckt. Und bald kommt das Gesetz des Schweigens zum Tragen. Auch im Dorf sind viele von den Mönchen abhängig, so dass Siem immer mehr auf Schweigen trifft.

Schon der erste Weltkrieg war an Grausamkeit kaum zu überbieten, doch im zweiten musste man erleben, dass es immer noch eine Steigerung geben kann. Siem Coburg, der im niederländischen Widerstand gekämpft hatte, war ebenso von seinen Erlebnissen geprägt, wie Bruder Felix, der im ersten Weltkrieg ein Tagebuch schrieb, und dann zu den Mönchen kam. Doch wie kann es sein, dass in dem Internat, in dem für das Wohl der eingeschränkten Jungen gesorgt werden sollte, eines der Jugendlichen plötzlich zu Tode kam. Schnell hegt Coburg einen Verdacht. Doch kann er auch nachweisen, was geschehen ist. Denn nur dann wird die Polizei eingreifen.

Die Erfahrungen, die man aus Kriegen mitbringt, sind meist negativ und häufig prägend. Grausamkeiten und Verluste lassen die Menschen nicht mehr los. Da besteht kaum Offenheit für anderes und es ist nur der Dankbarkeit Coburgs Tammens gegenüber zu verdanken, dass er dem Tod des Jungen nachgeht. Ein klassischer Kriminalroman ist das nicht. Vielmehr geht es zum großen Teil auch um die unbewältigten Kriegererlebnisse und das Verhalten der verschworenen Mönchsgemeinschaft, in der sich unterschiedlichste Charaktere zusammengefunden haben. Dieses macht die Lektüre nicht ganz leicht. So düster wie das Umschlagbild, so düster ist letztlich auch der Inhalt des Romans. So manches Mal liest man ungläubig erschrocken. Schnell setzt ein ein Prozess des Nachdenkens ein, über die Gräueltaten, von denen man gelesen hat. Das Buch ist zwar anders als erwartet, doch so bald lässt es einen nicht mehr los.

4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Staub zu Staub von Felix Weber
ISBN: 978-3-528-10499-5