Samstag, 27. November 2021

Die Eine

Der Psychotherapeut Sam Statler ist seit kurzem glücklich verheiratet. Seine Frau Annie ist mit ihm in seinen Heimatort gezogen. Sams neue Therapiepraxis beginnt gut zu laufen. Es könnte kaum besser laufen, einzig, dass Sams Mutter im Pflegeheim untergebracht werden musste, trübt das Glück. Sam und Annie feiern ihre Ehe jede Woche mit einem besonderen Treffen. Doch eines stürmischen Abends verschwindet Sam. Annie ist verzweifelt. Sie will ihn sofort als vermisst melden, was sich bei einem Erwachsenen als nicht so einfach herausstellt. Die Lage wird nicht besser als Annie herausfindet, dass Sam ihr nicht immer die Wahrheit gesagt hat.


Sam und Annie scheinen eine fast ideale Ehe zu führen, sie machen es sich schön. Annie besucht Sams Mutter regelmäßig und als Therapeut erlangt Sam Beliebtheit vor allem bei den weiblichen Klientinnen. Erst nach Sams Verschwinden stellt sich heraus, dass es doch ein paar Risse in der schönen Fassade gibt. Annie will nicht an Sams zweifeln, ins Grübeln kommt sie allerdings schon. Sie kannten sich erst einige Monate bevor sie geheiratet haben. War das vielleicht doch zu schnell? Die Polizisten vor Ort bestärken ihr Misstrauen eher noch. Aber Annie gibt nicht auf, sie muss einfach herausfinden, was mit Sam geschehen ist.


Einige Spitzfindigkeiten muss der geneigte Leser dieses Thrillers einfach selbst herausfinden. Das erschwert es allerdings ein wenig, sich zu diesem Buch zu äußern. Vielleicht würde man gerne etwas mehr über Annie erfahren. Doch sie und Sam als frisch Verheiratete sind sympathisch gezeichnet und sowohl ihre Zweifel an ihm als auch ihr Vertrauen überzeugen. Sam scheint an seiner Aufgabe als Therapeut zu wachsen. Gelungen ist der langsame Spannungsaufbau. Was einem zunächst als vielleicht betulich vorkommen mag wird später richtig fesselnd. Da hat schließlich jede der handelnden Personen ihre Geschichte, eine gewisse Prädisposition, die schließlich ihrem Handeln führt. Dieser packende Thriller vermag nach einem eher langsamen Beginn mit seinen geschickten Wendungen und der immer weiter anziehenden Spannung sehr zu gefallen.


4 Sterne


Das Therapiezimmer von Aimee Molloy

ISBN: 978-3-499-27634-7




Freitag, 26. November 2021

Düstergrün

Nach dem Studium ist Wilhelm Steiner nach Talberg zurückgekehrt, um die Stelle des Dorflehrers anzutreten. Geheiratet hat er Elisabeth Wegebauer, doch auch noch einigen Ehejahren kündigt sich kein Erbe an. Und nun liegt Wilhelm mit gebrochenen Knochen tot am Fuße des Turms, den er selbst hat errichten lassen. Der Polizeimajor Karl Leiner, ein Neffe des Bäckers, kommt in den Ort, um zu klären, ob es sich um ein Verbrechen gehandelt hat. Von den Dorfleuten erfährt Karl erstmal nicht sehr viel. Nur Wilhelms Frau ist etwas freundlicher zu dem Major. Sie scheint allerdings auch nicht viel zu wissen oder zu sagen.


In diesem ersten Roman einer Trilogie herrscht eine sehr düstere Stimmung. Die dunkelbewaldeten Hügel und Berge wirken bedrückend und es scheint so, als seien die Dorfbewohner durch die äußere Umgebung beeinflusst missgestimmt, neidisch und missgünstig. Die meisten Familien hatten im ersten Weltkrieg herbe Verluste hinzunehmen und nun im Jahr 1935 spürt man schon die negativen Auswirkungen des neuen Regimes. Dem Major Leiner wird Misstrauen entgegen gebracht. Gerade in den betroffenen Familien, den Steiners und Wegebauers, herrscht Schweigen und Personen, die befragt werden sollten, tauchen zu den Vernehmungen nicht auf. Und dann wird eine weitere Leiche gefunden.


Dieser Roman ist bestimmt von den Innensichten der handelnden Personen und den ausführlichen Beschreibungen der eher unwirtlichen Umgebung und weniger von der politischen Lage wie man anhand der Jahreszahl anzunehmen verleitet wird. Das Setting weckt Erinnerungen an Ganghofer-Verfilmungen mit ihrem Waldesrauschen. In dem man sich durch die Gedankengänge der Protagonisten hangelt, versucht man hinter die Vorgänge um den Tod des Wilhelm Steiner zu kommen. Auch wenn man eine Sache ab einem gewissen Zeitpunkt ahnt, ist man am Ende doch überrascht wie sich alles klärt. Ob es jedoch ein Dorf geben kann, das nur von Düsternis geprägt ist und keine einigermaßen glückliche Bewohner hat, erscheint doch ein wenig schwierig nachzuvollziehen. Dafür kann man sich schön aufregen über einige Unsympathlinge, die mit ihren Verhaltensweisen eher Unmut ernten, gerade auch, weil sie meinen, sie kämen mit allem durch. Bei diesem Buch handelt es sich mehr um einen Heimatroman als um einen Thriller. Kommt man damit klar, wird man gut unterhalten.


3,5 Sterne


Talberg 1935 von Max Korn

ISBN: 978-3-453-42459-3






Mittwoch, 17. November 2021

Der Baron

In einer Zeit, in der die Tiere noch echt waren, verbringt der Autor Andrea Camilleri mit seiner Familie die Sommer in seinem Landhaus. Tiere, die ihnen zulaufen, werden nicht abgewiesen. Camilleri ist überzeugt, die vierbeinigen Kameraden suchen sich ihre Menschen selbst aus. Und mit den Piepmätzen kann es ähnlich gehen. Da sind zum Beispiel ein Distelfink und ein Papagei, die sich nach einer Zeit des vorsichtigen Beäugens anfreunden oder der kleine Kater, der schwer verletzt gefunden und liebevoll aufgepäppelt wird. Obwohl mit seiner Genesung kaum zu rechnen war, lebte er achtzehn Jahre bei der Familie und wurde wegen seiner distinguierten Art auf den Namen Baron getauft. 


Das Buch hat der Autor seinen Urenkeln gewidmet. Auch wenn er die Geschichten schon vor zehn Jahren aufgeschrieben hat, so sind sie zeitlos schön und anheimelnd. Mit Witz und klugen Worten erzählt er von den Familientieren. Eine kunterbunte Menagerie kommt da zusammen. Und die Tiere schaffen auch häufig eine Verbindung zu den Nachbarn oder anderen Mitmenschen. Aus den tierischen Erlebnissen entwickeln sich Familienerzählungen, die sicher gerne bei so mancher Gelegenheit zum Besten gegeben wurden. Und nun lässt der Autor seine Leser an diesen Geschichten teilhaben.


Mit kleinen Strichzeichnungen aufgelockert sind die kurzweiligen und klugen Episoden über die Tiere. Die gut 160 Seiten sind zwar schnell gelesen, aber gewiss nicht schnell vergessen. Die heiteren Erzählungen strahlen eine besondere Wärme aus und können sicher mehr als einmal erfreuen. Man kann sich die Begebenheiten teilweise bildlich vorstellen. Vermeintlich gefährliche Hunde, lauthalse Papageien, betrunkene Schweine. Der Autor scheint glückliche Tage mit seinen Tieren verbracht zu haben und das versteht er unterhaltsam darzustellen. Wenn man die Lektüre beendet hat, fühlt man sich wie nach einem warmen Sommertag.


4 Sterne


Rendezvous mit Tieren von Andrea Camilleri

ISBN: 978-3-463-00015-2






Dienstag, 16. November 2021

Die Pastorin

Anna von Betteray ist die Rebellin in der Familie. Unter anderem aus Protest gegen die katholischen Dogmen, die bei den Betterays gelebt werden, hat sie Theologie studiert. Nun hat sie eine Vertretungsstelle als evangelische Pastorin in der kleinen Gemeinde Alpen ungefähr eine halbe Stunde von ihrem Elternhaus entfernt. Die Gemeindemitglieder sind überrascht als sie ankommt. Sie ist eine Frau, geschieden und eigentlich zu jung. Anna merkt, sie wird es nicht leicht haben. Und auch mit der Familie gibt es Schwierigkeiten. Die behütete Welt ihrer Schwester Maria bricht zusammen als ihr Mann wegen eines Bankskandals verhaftet wird. Allerdings bringt dieses Ereignis auch Probleme zutage, die sowieso schon schwelten.


Mechthild von Betteray wollte immer nur das Beste für ihre adeligen Kinder, besonders für ihre beiden Töchter, die einige Zeit nach den Jungen geboren wurden. Ob ihre Vorstellungen davon noch der heutigen Zeit entsprechen, zumindest Anna ist anderer Meinung. Maria hat ihren Grafen bekommen und muss mit ihm leben. Seine Verhaftung ist eine Katastrophe, die besonders ihrem Sohn Sascha das Leben schwer macht. Maria bricht unter der Last zusammen und Anna muss sowohl als Seelsorgerin und natürlich auch als Schwester einspringen. So ist sie mit Goldendoodle Freddy häufiger daheim als gedacht.


Es ist schon eine besondere Familie, die die Autorin hier zu Wort kommen lässt. Was relativ harmlos mit der Vertretung des  erkrankten Pastors beginnt, entwickelt sich zu einem vielschichtigen Drama. Auch wenn man manchmal denkt, das ist zu viel, so bleibt die Handlung doch immer nah bei den handelnden Personen, die auch mit ihren Eigenheiten und Problemen sympathisch bleiben. Das dörfliche Leben am Niederrhein wird mit kleinen Spitzen und einer gehörigen Portion Humor geschildert, so dass die dramatischen Ereignisse um Maria und ihre Familie den Roman gerade im richtigen Maß bestimmen. Diese schöne turbulente Familiengeschichte, in der kleine und große Dramen durchzustehen sind, liest sich ausgesprochen gut und macht neugierig auf die anderen Romane der Autorin.


4 Sterne


Wie sind schließlich wer von Anne Gesthuysen

ISBN: 978-3-462-32097-8





Sonntag, 14. November 2021

Technokiller

Der Job der Analystin Quinn Mitchell ist erledigt. Mit einem Team konnten sie Anschläge verhindert. Am liebsten würde Quinn weiterhin von Schreibtisch aus arbeiten. Doch die CIA hat etwas anderes mit ihr vor. Seit Wochen bringt ein mysteriöser Killer scheinbar grundlos Menschen um. Nicht einmal vor Jungendlichen macht er halt. Mit ihren analytischen Fähigkeiten soll Quinn versuchen, ihn zu finden. Dafür muss sie ins Feld und sie muss sich den Erinnerungen aus ihrer Vergangenheit stellen. Strukturiert entschlüsselt Quinn erste Hinweise und ihr Weg führt sie durch die Welt. Wird sie es schaffen, dem Mörder auf die Spur zu kommen?


Der Roman beginnt mit der spannenden Jagd nach einem Serienmörder. der bereits mehrere junge Menschen scheinbar wahllos umgebracht hat. Die CIA Agentin Quinn ist erstmals im Feld. So wohl fühlt sie sich da nicht, aber die für sie ungewohnte Tätigkeit scheint sie zu außergewöhnlichen Leistungen anzustacheln. Ihre Vergangenheit ist ihr immer präsent, ihre Scheidung hängt ihr arg nach. Sie vermisst ihren Ex-Mann, auch wenn sie nicht mehr zusammenbleiben konnten. Jedoch darf sich Quinn nicht ablenken lassen. Sie muss sich zusammenreißen und alles unternehmen, um den Täter zu fassen. Vielleicht kann Henrietta eine weitere Mitarbeiterin, sie unterstützen.


In der nahen Zukunft sind die technischen Möglichkeiten den heutigen deutlich überlegen. Nur so kann es den Zeitindex geben, ein Projekt, das weitgehend geheim gehalten wird. Quinn erweist sich als findige Ermittlerin, die manchmal überfordert wirkt. Kein Wunder, sie wird ja quasi ins kalte Wasser gestoßen. Der Täter soweit man ihn kennt, wirkt dagegen fasst allwissend und souverän. Und immer wieder taucht der Zeitindex auf. Sehr geheimnisvoll, allerdings auch mitunter mit einer technischen Herangehensweise nicht immer ganz leicht zu verstehen. Dennoch ist die Handlung so fesselnd, dass man das Buch fast an einem Tag durchlesen möchte. Ein packender Science Fiction Thriller bietet eine interessante Abwechslung.


4 Sterne


Der Zeitindex von Christian Cantrell

ISBN: 978-3-453-32060-4




Freitag, 12. November 2021

Florida

Im Jahr 1538 macht sich der Eroberer Ferdinand Desoto mit seinem Tross auf den Weg nach Amerika, um Florida einzunehmen und Eldorado zu finden. In seiner Mannschaft kommt ein buntes Volk zusammen. Auch seine ungeliebte Frau ist mit dabei, sie ist die Schwester seiner großen Liebe. Desoto ist auf seinen vorherigen Fahrten reich geworden. Deshalb geht es ihm wohl mehr um den Ruhm. In Havanna zwischengelandet, lässt er seine Frau als Gouverneurin zurück. An der amerikanischen Küste angekommen, treffen die Seefahrer bald auf einheimische Völker. Derweil klagt in der Gegenwart ein Anwalt gegen den damaligen Verkauf des Landes an die Eroberer.


Wieder widmet sich der Autor einem geschichtlichen Ereignis. Die Entdeckerfahrt des Ferdinand Desoto, der auch als Namensgeber einer amerikanischen Automarke gilt, im Spannungsfeld mit der Klage des Anwalts vor einem amerikanischen Gericht, bildet den Rahmen für eine ungewöhnliche Erzählung. Eroberer, Gauner und Seefahrer machen sich auf den Weg nach Amerika. Die Meisten haben ihrer eigenen Gründe, sich auf die Reise zu begeben. In der damaligen Zeit barg das Unterfangen nicht unerhebliche Gefahren. Dies und auch die persönlichen Querelen für zu empfindlichen Verlusten. Doch wie kommt dann ein Anwalt in der Gegenwart dazu, eine Sammelklage einzureichen?


Die Idee, über die Jahrhunderte einen Spannungsbogen zu legen, weckt sofort Interesse. Leider kommt der Prozess, der in der Gegenwart stattfindet, und der Weg des Anwalts dahin, etwas zu kurz. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Eroberungsreise mit ihren vielen sehr unterschiedlichen Teilnehmern und den Eroberten, die selbstverständlich nicht unbedingt, damit einverstanden sind, erobert zu werden. Das Kaleidoskop der Handelnden ist sehr vielfältig und jeder hat eine Geschichte zu erzählen. Wie während einer solchen Eroberung nicht anders zu erwarten, kommt es auch zu einigen Gemetzeln, die manchmal ein wenig schwer verdaulich sind. Der Roman ist in einer witzigen und pointierten Sprache geschrieben, so manches Mal stutzt man, ehe man die Verbindung zieht und ein Lächeln auf den Lippen hat.


3,5 Sterne


Die Eroberung Amerikas von Franzobel

ISBN: 978-3-5520-7227-5





Montag, 8. November 2021

Hohes Venn

Dies ist die Geschichte von Henni Schöning und ihrer Familie. Noch während des zweiten Weltkrieges lebten sie einfach, aber zufrieden. Doch nach dem Krieg kehrte der Vater als ein anderer zurück und Hennie ist diejenige, die versucht die Familie zusammenzuhalten. Mit vierzehn ist sie einfach zu jung. Und ihre Brüder kommen ins Heim, während sie selbst wegen Kaffeeschmuggel im Besserungsheim landet. Der Vater von allem überfordert hat sich der Kirche zugewandt, was ihm vielleicht Halt gibt, sich allerdings nicht als hilfreich erweist. Jahre später verfolgt Hennies Schulfreundin Elsa einen Prozess, in dem keine andere als Hennie angeklagt ist.


Die Härten der Nachkriegszeit waren nur schwer zu ertragen. Auch wenn man nicht vergessen darf, dass dieser Krieg ohne die Deutschen in dieser Form nicht stattgefunden hätte, so waren die ersten Jahre nach dem Krieg auch für die Deutschen schwer. Am Beispiel eines kleinen Dorfes im Deutsch-Belgischen Grenzgebiet wird hier deutlich, dass es manchmal ums blanke Überleben ging. Ein Mädchen wie Hennie musste viel zu früh erwachsen werden, die Mutter allzu früh gestorben und der Vater nach dem Kriegseinsatz nicht mehr richtig lebenstüchtig. Hennie leidet sehr darunter, dass sie nicht verhindern konnte, dass ihre Brüder ins Heim gebracht wurden. 


Mit sehr eindringlichen Worten schildert die Autorin die schier unsäglichen Verhältnisse in den Kinderheimen der 1950er. Die tragischen Ereignisse, die dazu führten, dass Hennies Brüder dort untergebracht wurden, sind an Dramatik kaum zu überbieten. Doch zu lesen wie die Kinder in den Heimen gequält und drangsaliert wurden ist kaum zu ertragen. Und dass sich die Heimleitung auch noch damit herausreden kann, es sei zum Besten der Kinder, ist aus heutiger Sicht einfach unverständlich. Eine solche Kindheit kann man nur zu überleben versuchen. Und nicht alle haben das geschafft. Auch Hennie muss einiges mitmachen, wenn sie durch den Schmuggel auch nicht ganz unverschuldet dort hineingerät, so lastete doch zu viel auf ihr. Von zwei Zeitebenen aus lässt die Autorin ihre Leser an den Geschehnissen teilhaben. Während der gesamten Lektüre bleibt man im Bann der Geschichte und man verdammt den Krieg und dessen Folgen. Dieser zeitgeschichtliche Roman reißt mit und regt zum Nachdenken an.


4,5 Sterne


Grenzgänger von Mechtiid Borrmann

ISBN: 978-3-426-28179-6





Sonntag, 7. November 2021

Perle des Nordens

Im Jahr 1886 hat Lily Karsten die Ehre das neue Schiff ihres Vaters zu taufen. Doch ihr Bruder Franz haut einfach mit der Kutsche ab. Um noch pünktlich zu sein, schnappt sie sich das neue Fahrrad und schafft es so gerade. Natürlich erregt sie Aufsehen mit ihrem Auftritt, ihre Rede kommt gut an. Dummerweise reißt der Wind ihr den Hut von den Haaren. Ein Arbeiter will ihr helfen, das gute Stück zurück zu bekommen. Dabei kommt es zu einem tragischen Unglück, in dessen Folge der Arbeiter sein Leben verliert. Für Lily ist dies ein Wendepunkt, denn sie will der Familie ihre Hilfe anbieten und wagt sich dabei in die Arbeitergegend Hamburgs vor.


In diesem ersten Band um die Hamburger Reederfamilie Karsten wird es gleich sehr dramatisch. Der tragische Unfall bringt Lily Karten in Kontakt mit Jo Bolten, der sie durch das Gängeviertel. Aus einem gut situiertem Haus stammend ist die junge Lily erstmal schockiert. Dennoch versucht sie etwas für die Familie des Arbeiters zu tun. Ihre Eltern dürfen davon nichts wissen, sie wären entsetzt, wenn sie wüßten, wo Lily sich rumtreibt und was für Gedanken sie sich macht. Dabei ist Lily nicht die Einzige des Karstens, die etwas zu verbergen hat. 


Das Schicksal von Lily und Jo ist für die damalige Zeit sehr ungewöhnlich. Unter anderen Umständen hätten sich der Hafenarbeiter und die Reedertochter nie getroffen. Für beide beginnt eine Zeit des Umbruchs, die sie für immer verändern wird. Deutlich wird dabei, dass das Leben der armen Menschen zwar voller Sorge, aber nicht immer unglücklich ist, während die Reichen weniger Sorgen haben, was aber nicht heißen muss, dass sie glücklich sind. Sowohl Jo als auch Liliys Famlie haben Geheimnisse, die nicht ans Licht kommen sollen. Und Lily, die für ihre Zeit sehr fortschrittliche Ansichten hat, schwebt in Gefahr, zwischen den Polen zerrieben zu werden. Beim Hören dieses Romans fliegt die Zeit nur so dahin, die realitätsnah geschilderten Ereignisse überschlagen sich mitunter. Das scheint manchmal schon zu viel des Dramas. Dennoch bleibt man gefesselt und will unbedingt wissen, ob Lily durch den Sturm des Lebens steuern kann. Von Tanja Fornaro wird dieses Hörbuch sehr glaubhaft vorgetragen, man wähnt sich wie mitten im Geschehen.


4 Sterne


Elbleuchten von Miriam Georg

ISBN: 9788-3-7324-5440-2





Samstag, 6. November 2021

Eine Garage für Hugo

Hauptmann Max Heller lässt es ruhiger angehen, lange dauert es nicht mehr bis er in Rente geht. Gerne hätte er die Garage für seinen Trabi fertig, doch Material ist schwer zu bekommen, ebenso die Arbeiter. Als in der Nähe zwei schlimm zugerichtete Leichen gefunden werden, macht er sich mit seinen Kollegen sofort auf den Weg. Bei den Toten handelt es sich um Arbeitskollegen, die auch privat bekannt waren. Die Ehefrauen reagieren wie erstarrt auf die Todesnachricht, doch ein Motiv ist erstmal nicht zu erkennen. Es dauert auch nicht lange, bis die Staatssicherheit sich für die Sache interessiert. 


Max Hellers letzter Fall beginnt im Jahr 1959 und kommt im Jahr 1961 zu Abschluss. Kurz vor der Rente hat Heller schon fast mit seiner Arbeit abgeschlossen. Sein Vorgesetzter macht ihm das leicht. Allzu linientreu geht es Appelt manchmal nicht so sehr darum, einen Fall aufzuklären, eher scheint er Lösungen zu wünschen, mit denen kein Aufsehen erregt wird. Und so werden Max’ Nachfragen zu der Vergangenheit der Toten nicht sehr gern gesehen. Schwierig ist für die Hellers auf das Verhältnis zu ihrem Sohn Klaus. Als überzeugter Sozialist und treuer Mitarbeiter der Staatssicherheit sind die Auffassungen von ihm und  seinen Eltern einfach zu unterschiedlich.


Auch mit Hellers letztem Fall versteht es der Autor, seine Leser zu fesseln. Auch wenn die Untersuchung etwas kompliziert erscheint und die Taten grausam, die Schilderung von Hellers Gedanken, seinem Hadern mit dem Staat, seiner Liebe zu seiner Familie, sein Streben danach, seine Arbeit ordentlich zu machen, das reißt einen bei der Lektüre mit. Diese unterschwellige Enge durch die mögliche Beobachtung durch die Stasi, Karins Sehnsucht nach ihrem zweiten Sohn, der im Westen lebt, Anni, die letztlich unter Max’ kritischer Einstellung zu leiden hat. Aber Dresden ist ihre Heimat und eigentlich haben sie auch alles, sie bekommen alles, es dauert nur etwas länger. Der Zwiespalt zwischen Kritik am Staat und Heimattreue, in dem sich Max Heller befindet, trägt diesen spannenden Roman. Die lebensnahe Zeichnung der handelnden Personen ist ausgesprochen gelungen.


4,5 Sterne


Feind des Volkes von Frank Goldammer

ISBN: 978-3-423-26300-9





Mittwoch, 3. November 2021

Kleine Problemchen

Kleine Problemchen löst man in der Familie. So sieht es Lady Emma Tode nachdem ihr 93jähriger Gatte verstorben ist. Nun ruht der gute Sir Ecgbert endlich in der Familiengruft und Lady Emma will sich endlich auf Capri zur Ruhe setzen. Ihre Kinder jedoch sehen überhaupt nicht ein, dass sie die Verwaltung des Familiensitzes übernehmen sollen. Es bleibt also nichts anderes als den ehrwürdigen Posten dem Neffen aus dem Familienzweig anzudienen, mit dem man eigentlich zerstritten war. Glücklicherweise nehmen Egbert und India das Angebot an und mit ihnen zieht auch die Enkelin der ehemaligen Hausdame ein. Von ihrem Ruhestand hat Lady Emma allerdings nicht so viel, wird sie doch eines Tages tot in der Familiengruft gefunden.


Als nicht so einfache Aufgabe stellt es sich heraus, ein Herrenhaus zu verwalten. Egbert ahnte nicht, wie viele Entscheidungen zu treffen, Besprechungen zu führen sind. Und Indias kreative Ideen kommen beim Personal nicht gut an. Wenigstens die Kinder blühen auf. Die störenden Touristen laufen überall herum. Sie haben nur ein Gutes, sie bringen Geld in die Kasse. Alice, die als 14jährige zuletzt auf Tode Hall war, muss sich erstmal in ihre neue Rolle als Hausdame finden. Es stürzt schon genug auf sie alle ein, da hätte es keinen ungeklärten Todesfalls bedurft.


Manchmal ist es tatsächlich nicht so einfach, die Nachfolge zu regeln und so herrscht hier schon manchmal ein gewisses Durcheinander. Die Verstorbene Lady Emma entpuppt sich als ganz eigener Charakter. Auch die neuen Bewohner von Tode Hall beweisen einiges an Exzentrik. Wie aufgescheuchte Hühner flattern sie durch das riesige Anwesen. Dennoch weisen besonders Hausdame Alice und der Verwalter des Herrenhauses Egbert sympathische Züge auf. Alice, die ihrem langweilig stressigen Alltag entflohen ist, und Egbert, der seiner India jeden Wunsch von den Augen ablesen möchte. Auf welchem Weg sie herausfinden wie Emma zu Tode gekommen ist, unterhält sehr gut, wenn man sich an den ein wenig schrillen Charme der handelnden Personen gewöhnt hat. Zwar löst sich der Fall fast nebenbei und geht dabei in den schrägen Aktivitäten, die die Bewohner des historischen Herrenhauses unternehmen, um die Werbetrommel zu rühren, beinahe unter. Dennoch sind die Charaktere mit ihrem speziellen britischen Humor liebevoll und detailliert gezeichnet. Genau das Richtige für einen sorglos verbrachten freien Tag.


3,5 Sterne



Die tote Lady von Daisy Waugh

ISBN: 978-3442-49147-6





Montag, 1. November 2021

Austausch-Cop

Es sollen Cold Cases wieder aufgerollt werden. Da das mysteriöse Verschwinden einer jungen Frau vor zehn Jahren nie aufgeklärt wurde, ist dies der erste Fall, den die Einheit in Karlstad, Schweden, aufgreift. Den Ermittlern an die Seite gestellt wird John Adderley aus Amerika. Adderley musste in den Zeugenschutz, weil er gegen üble Verbrecher als Kronzeuge aufgetreten ist. Es war Adderleys Wunsch nach Schweden entsannt zu werden, da seine Mutter und sein Halbbruder dort leben. Bei seinen neuen Kollegen eckt er erstmal an und er erzählt auch nicht jedes Detail aus seinem Leben. 


In diesem ersten Fall um den FBI-Agenten im schwedischen Polizeieinsatz wird es gleich brisant. Nach der jungen Emelie wurde vor zehn Jahren fieberhaft gesucht. Ihre Mutter hat sich mit ihrem Verschwinden abgefunden, für ihren Vater ist allerdings nichts wie vor. Beide wollen, dass das Schicksal ihrer Tochter endlich geklärt wird. Während die schwedische Polizei mit ihren Nachforschungen dort ansetzt, wo sie vor Jahren aufgehört hat, gelingt es Adderley als Außenstehendem tatsächlich einen anderen Blickwinkel einzunehmen und damit auch neue Hinweise zu finden. Diese weisen zwar auf den damals bekannten Verdächtigen, was John zum Anlass nimmt, energisch weiterzubohren, denn der Verdächtige ist sein Halbbruder.


Ein Amerikaner in Schweden, ein einsamer Wolf, der sich ins neue Team einfügen muss. Das fällt ihm nicht leicht, die amerikanische Überheblichkeit muss er ablegen. Als Ermittler erweist sich der Neue als Gewinn für das Team, was bei den Kollegen nicht nur Freude hervorruft. Die über ihm schwebende Gefahr, dass seine Deckung auffliegt, seine Fähigkeiten als Spürnase, seine Eckigkeit als Kollege und seine private Verstrickung. Das alles ergibt eine explosive Mischung für einen spannenden Thriller. Zwar erscheint Adderley in einigen Momenten etwas überirdisch oder seine Kollegen als etwas arg normal. Der Fall dagegen wartet mit einigen Überraschungen auf. Gerade wenn man meint, es sei alles klar, ergibt sich doch noch eine neue Spur. Obwohl man mitunter den Eindruck gewinnt, der Fall könnte etwas überfrachtet sein und dem Ermittler werde ein wenig zu viel zugemutet, so hat man doch einen sehr fesselnden Kriminalroman.


4 Sterne


Der andere Sohn von Peter Mohlin und Peter Nyström

ISBN: 978-3-7499-0121-0