Mittwoch, 31. August 2022

Spukhaus

Nach einen Schneewetter in einer einsamen Gegend Islands ist eine Gruppe Wanderer verschwunden. Ein Suchtrupp wird in die abgelegene Gegend geschickt. Zunächst ist wenig zu finden, auch über die Wanderer ist nicht viel bekannt. Hütten sind in dieser Gegend grundsätzlich selten abgeschlossen. Könnten sie dort Unterschlupf gesucht haben. Nach der Kontrolle etlicher Hütten, finden die Helfer eine, die erst vor kurzem benutzt wurde. Allerdings ist die Behausung leer. Auch in der nahegelegenen Radarstation scheint etwas Unheimliches vorzugehen. Der neue Mitarbeiter dort wagt es allerdings nicht, seine Beobachtungen an die große Glocke zu hängen, denn sein Vorgänger ist durch einen eigenartigen Unfall ums Leben gekommen.


Gruselige Ereignisse bestimmen die Handlung dieses Thrillers. Da fühlt man schon mal eine eiskalte Hand im Rücken. Mitunter sind die Erscheinungen sogar für Erwachsene zu sehen, die eigentlich weniger offen sind als Kinder, die seltsame Begebenheiten eher als gegeben hinnehmen. Jóhanna, die mit ihrem Mann noch neu im Ort ist, gehört zu der Suchmannschaft. Nach einen Unfall hat sie ein kleines Handicap, dass sie im Alltag nicht beeinträchtigt. Nur bei Anstrengung schmerzt die alte Verletzung. Da macht die Teilnahme an der Suche nicht einfacher, aber in der Gegend gehört es einfach dazu, dass man an der Suche nach Vermissten teilnimmt.


Was man hier zu lesen bekommt, ist schon ganz schön spooky. Es gelingt der Autorin nach einem verhaltenen Beginn, eine Stimmung zu erzeugen, in der es einen tatsächlich gruselt. Was ist mit den Wandern passiert und wieso gibt es sowohl in der Radarstation und um Jóhannas Haus so unheimliche Vorkommnisse. Verstärkt wird das Ganze durch die winterliche Dunkelheit, die es kaum mal Tag werden lässt. Nach und nach immer mehr gebannt, verfolgt man den Weg der Expeditionsteilnehmer und fragt sich, wieso sie nicht einfach im Schutz der Hütte geblieben sind. Ob das Suchteam oder die Polizei die Geheimnisse enträtseln können, muss jeder selbst nachlesen. Der Weg, den die Autorin einschlägt, tut einiges dazu Leser und Leserinnen ausgesprochen zu fesseln.


Ansprechend ist die Covergestaltung der Printausgabe, auf welcher der titelgebende Schnee in einem Wort seine Aggregatzustände von weiß, über grau zu schwarz durchwandert.


4 Sterne


Schnee von Yrsa Sigurdardóttir

ISBN: 978-3-442-75952-1




Dienstag, 30. August 2022

Katyas Geschichte

Nachdem Cassies Mann vor einiger Zeit bei einem Unfall starb, hört die Trauer für Cassie und ihre kleine Tochter Cassie nicht auf. Um ihr zu helfen, wieder ins Leben zurückzufinden, holt Cassies Mutter Tochter und Enkelin zurück nach Illinois. Dort ziehen sie zu Cassies Großmutter, die sich nach einem kleinen Unfall erholen soll. Katya hat nie viel von ihrer ukrainischen Heimat erzählt, doch nun scheint es so als würden ihre Gedanken mehr und mehr in die Vergangenheit gezogen. Gerne möchte Cassie ihrer Großmutter helfen. Weil diese jedoch immer so verschlossen ist, kann sie sie nicht direkt fragen. Dann findet Cassie ein Tagebuch, dem Bobby ihre innersten Gedanken und Gefühle anvertraut hat.


Zwischen Gegenwart und Vergangenheit erfährt man von Katya, ihrem Erleben der 1930er in der Ukraine und von ihrem Lebensabend im Jahr 2004 in Amerika. Schon einmal hat Russland, welches damals noch Sowjetunion hieß, großes Leid über die Ukraine gebracht. Die Vergemeinschaftung des Besitzes der ukrainischen Bauern löste eine menschengemachte Hungersnot aus. Katya, eigentlich wohlbehütet aufgewachsen und glücklich verheiratet, erfährt mehr Leid als ein Mensch ertragen kann. Ihre Lieben werden deportiert, umgebracht, hungern nicht nur, verhungern. Cassie kann nicht fassen, was sie erfährt. Welche Kraft hatte ihre Großmutter, um doch noch ein erfülltes Leben zu finden. Und wird Cassie ihren Verlust jemals überwinden können?


Offensichtlich noch vor dem gerade über die Ukraine hereingebrochenen Krieg geschrieben, weist die hier erzählte anrührende Geschichte tatsächlich einige Parallelen zu den jetzigen Verbreitungen der Besatzer auf. Der Hunger wurde als Mittel des Krieges genutzt, nicht nur mutwillig, sondern absichtlich wurden Menschen in den Hungertot getrieben. Einfach, um den Widerstand zu brechen und die Menschen gefügig zu machen. Unter anderen Umständen wäre es kaum zu glauben, aber die Schlechtigkeit der Menschen findet hier einen besonders perfiden Ausdruck. Obwohl von großem Leid und Trauer getragen, ist diese Erzählung doch auch eine Geschichte der Hoffnung und der Heilung. Dadurch ergibt sich die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart zwischen Katya und Cassie. Vielleicht fragt man sich beim Lesen der Beschreibung, ob man das Buch lesen möchte. Nach der Lektüre kann man nur sagen: Unbedingt lesen!


4,5 Sterne


The Memory Keeper of Kyiv von Erin Litteken

ISBN: 978-1-804-15764-0





Die deutschsprachige Ausgabe ist bei Lübbe erschienen




Freitag, 26. August 2022

Deutscher Buchpreis 2022 - Die Longlist

Wie in jedem Jahr mit Spannung erwartet und jetzt ist sie da: Die Longlist der Bücher und Autoren, die für den deutschen Buchpreis nominiert sind. Auch wenn nicht jeder Name oder jedes Buch bekannt ist, wirkt die Liste interessant und macht neugierig auf die Leseproben, mit denen Autoren und Bücher den Lesern vorgestellt werden. Gerade diese Kombination machen das Leseprobenbüchlein zu etwas besonderem.


Auch wenn man nicht jedes Buch dieser zwanzig lesen kann und dadurch Respekt vor der Jury gewinnt, die aus über 200 Büchern auswählen durften, so lassen die Proben die Wunschliste doch um einige Bände anwachsen. Schön auch, dass neben renommierten auch weniger bekannte Verlage dabei sind. Gut gefällt auch die Vielfältigkeit der Themen, derer sich die Autoren und Autorinnen angenommen haben. Und auch die Bandbreite der Autoren und Autorinnen ist groß zum einen vom Alter her, aber auch vom Bekanntheitsgrad. Bei einigen Namen und auch Büchern klingelt es sofort, einige hat man noch nicht gehört. Und so kann die Auswahl bestimmt als gelungen gelten und die Bekanntgabe der Shortlist am 20.09. kann wieder mit Spannung erwartet werden, ebenso wie die Verleihung des Preises am 17.10.2022.


Vielleicht hat man selbst noch nicht den unbedingten Favoriten gefunden, wie es in manchem Jahr der Fall war, aber doch einige Lieblingsleseproben. Mit Freude blickt man nach vorne und hoffte auf ein oder zwei Lese-Exemplare. Auch in der Lieblingsbuchhandlung ist schon ein Buchpreistisch in Vorbereitung, der beim nächsten Besuch sicher gut bestückt sein wird. 


Buchpreisbücher 2022 - ich komme!


4 Sterne



Deutscher Buchpreis Die Nominierten 2022

ISBN: 978-3-7657-3437-3




Mittwoch, 24. August 2022

Drei Hüter

Dies ist nicht nur die Geschichte der Bienen, sondern auch die Geschichte von William, George und Tao. William wäre gerne Forscher geworden. Doch durch seine frühe Heirat und reiche Kinderschar ist der dazu verurteilt einfacher Saathändler zu sein. Über hundert Jahre später arbeitet George als professioneller Imker. Seine Bienenkästen baut er selbst und die Bienen haben immer für sein Auskommen gesorgt. Allerdings zweifelt er so langsam daran, dass sein Sohn den Betrieb übernehmen wird. Weitere über hundert Jahre später in China ist Tao als Blütenbestäuberin tätig, denn es gibt keine Bienen mehr. Ihre Freude ist ihr kleiner Sohn.


Die Erzählungen von drei Menschen angesiedelt in unterschiedlichen Epochen und ihre Beziehungen in den Familien und zu den Bienen. William als gescheiterter Forscher hadert mit dem, was er nicht erreicht hat. Seine Tochter Charlotte ist seine Stütze, doch auch sie kann nicht verhindern, dass William immer sein Versagen sieht. George würde in sich ruhen, wenn nur sein Sohn Tom Interesse an dem Hof hätte, der die Familie seit Generationen ernährt. Tao hat ihre schwere Arbeit angenommen, ob wohl sie lieber studiert hätte. Doch so hat sie ein relativ gesichertes Leben und das Wichtigste ihren Sohn und ihren Mann.


Eine Weile dauert es schon bis die Autorin einen Zusammenhang zwischen den Lebenswegen der drei Protagonisten offenbart, dennoch weckt sie Interesse an der Geschichte der Bienen, deren Verschwinden dringlichst verhindert werden sollte. Melancholie liegt über der Handlung. Man fragt sich, ob man nichts tun kann. Insbesondere William wirkt sehr phlegmatisch, wohingegen der Eindruck entsteht, dass George irgendwie die Sprache fehlt. Tao wirkt schon fast zu energisch und glücklich scheinen alle drei nicht. Dennoch fesselt der Roman nicht so sehr mit den Menschen, sondern mehr mit den Bienen. Diese kleinen fleißigen Wesen - man sollte es sich zur Aufgabe machen, ihren Bestand zu sichern, wo und wie immer es möglich ist. Und trotz aller Melancholie liegt über dieser packenden Story auch ein hoffnungsfroher Silberstreif. 


4 Sterne


Die Geschichte der Bienen von Maja Lunde

ISBN: 978-3-442-71741-5





Dienstag, 23. August 2022

Lomberg

Im Frühjahr 2016 lebt der Kunstexperte Lennard Lomberg im Beschaulichen Bonn. Davor war er lange Zeit in Groß Britannien tätig. . Überrascht wird Lomberg durch die Kontaktaufnahme eines Franzosen, dem es darum geht, den rechtmäßigen Besitzer ein bestimmtes Bild wieder zukommen zu lassen. Falls Lomberg diesen Auftrag ablehne, müsse er damit rechnen, dass gewisse Informationen über seine Familie ans Licht kommen. Wen soll es da wundern, dass Lennard Lomberg nicht gerade scharf auf die Dache ist. Als jedoch die Polizei vor der Tür steht, weil der Franzose tot aufgefunden wurde, will und muss Lomberg doch herausfinden, was hinter der mysteriösen Geschichte steckt.


In seiner ersten Untersuchung ist Lennard Lomberg gleich sehr persönlich betroffen. Zum einen besteht ein vager Verdacht, dass er etwas mit dem Tod des Franzosen zu tun haben könnte. Zum anderen geht es aber auch um die Vergangenheit seines Vaters, eines trockenen Juristen, dem dem er sich überworfen hat, als er selbst die Juristerei zugunsten der Kunstgeschichte aufgegeben hat. Am meisten schien seinen Vater das Thema der Abschlussarbeit aufzuregen, in der es um Beutekunst ging. Je tiefer Lomberg in der Vergangenheit gräbt, desto mehr beginnt er zu verstehen, wieso sein Vater lieber als beamteter Jurist tätig war. Warum aber sollte jemand wegen der Galten Geschichte in der Gegenwart umgebracht werden?


Die Zeit des zweiten Weltkrieges ist häufig in den Familien totgeschwiegen worden. Lieber wollte man neu anfangen, das Wirtschaftswunder gestalten und den ersten Urlaub genießen. Zwar wird es eher selten so spannende oder schockierende Lebensläufe zu entdecken geben, wie hier beim alten Lomberg, aber sofern Zeitzeugen noch befragt werden können, haben sie bestimmt etwas zu erzählen. Auch wenn der Roman etwas behäbig beginnt, ist man bald gefesselt und irgendwann erstaunt, dass es schon vorbei ist. Die Verbindungen zwischen den einzelnen Personen und zu  Vergangenheit sind klug zusammengefügt. Dass und wie Kriegserlebnisse über Generationen nachwirken, wird packend geschildert. Man fragt sich zwar unter diesem Eindruck, wie Lomberga n eine weitere Ermittlung kommen soll, ist aber gerade deswegen gespannt auf den angekündigten zweiten Band.


Das Cover entfaltet seine Wirkung erst mit Kenntnis der Handlung, dann aber richtig. 


4 Sterne


Das neunte Gemälde von Andreas Storm

ISBN: 978-3-462-00388-8




Samstag, 20. August 2022

Winter auf Jagd

Carla Winter ist Anwältin und sie arbeitet hauptsächlich als Strafverteidigerin tätig. Sie würde sagen, sie ist tough. Als sie jedoch die Nachricht erhält, ihr Exmann sei bei einem Autounfall umgekommen, ist sie doch schockiert und traurig. Und dann findet sie auch noch ihren One-Night-Stand tot im Schrank. Carlas Nervenkostüm gerät ein wenig ins Flattern. Dennoch will sie wissen, wer in ihre Wohnung eingebrochen ist, skrupellos einen Mord begangen hat und offensichtlich nach etwas gesucht hat. Eine erste Spur ergibt sich, als ein Freund ihres Mannes sie kontaktiert und offenbart, dass es um den Schmuggel antiker Kunst geht.


Auch wenn man mitten im Leben steht, rechnet man nicht damit, dass das plötzlich bedeutet, dass man sich im Zentrum eines Kriminalfalls befindet. Carla Winter, die ihrem Mann nur eine ordentliche Beerdigung geben wollte, sieht sich durch Deutschland und Europa reisen. Manchmal kann sie nicht genau sagen, ob sie auf der Suche oder eher auf der Flucht ist. Doch Carla nimmt die Sache in die Hand, eine andere Chance sieht sie nicht. Wenn sie nicht herausfindet, wo das Artefakt geblieben ist, nach dem alle suchen, wird sie immer auf der Flucht sein. Und so langsam wird sie auch sauer auf ihren Ex.


Carla Winter, Anfang vierzig, hat eine starke Persönlichkeit, mit der sie überzeugt. Sie packt es an. Nach der Scheidung hat sie sich noch nicht wirklich von ihrem Mann gelöst. Doch nun erfährt sie Dinge von ihm, die sie eigentlich nie wissen wollte. Wird ihr das helfen einen Schlussstrich zu ziehen? Fesselnd liest sich wie Carla Winter sich auf die Suche nach des Rätsels Lösung macht. Dabei ist sie emphatisch und kümmert sich um die Menschen, die ihr geholfen haben. Interessant sind auch die Erläuterungen zu Raub und Schmuggel antiker Kunstgegenstände. Kunst als Anlageobjekt und damit auch Objekt der Begierde für zwielichtige Gestalten. Ein runder Roman mit einem ansprechenden Thema und rasanten Thrillerelementen.


4 Sterne


Das letzte Grab von Lukas Erler

ISBN: 978-3-608-50169-8





Freitag, 19. August 2022

Darling

Nun ist Paula Haydorn schon ein Jahr bei der Polizei. Man schreibt den August 1929. Um ihren Kollegen Martin Broder zu unterstützen, nimmt sie als Zeugin an einer Hinrichtung teil. Kein schönes Erlebnis. Nur wenig später taucht eine aufgelöste Dame an der Polizeiwache auf, ihre kleine Tochter ist verschwunden. Das Kindermädchen wollte mit Dorle nur spazieren gehen und nun sind immer noch nicht wieder da. Doch Signe von Arnsberg ist schon bekannt und die Kollegen glauben, sie müssten ihre Klage nicht für voll nehmen. Paula ist da anderer Meinung, schließlich geht es um ein kleines Mädchen.


Bis zu ihrem zweiten größeren Fall hat Paula Haydorn die Kollegen überzeugt. Sie ist eine wertvolle Kollegin, die Ermittlungen gut voranbringen kann. Ihr Kollege Martin Broder wirkt in letzter Zeit etwas reserviert und Paulas Verhältnis zu ihren Eltern ist immer noch getrübt. Dennoch widmet sie sich dem neuen Fall mit ganzer Kraft. Paula kann und will nicht glauben, dass die Mutter des Kindes lügt, auch wenn das Benehmen der Frau einige Rätsel aufgibt. Doch bald nehmen die Ermittlungen Fahrt auf und die Ermittler erfahren mehr über Signe von Arnsberg und ihre ungewöhnliche Kindheit und Jugend.


Es tut sich was für die Frauen. Sie können einen Beruf ergreifen und sind nicht mehr nur ein Anhängsel für einen Mann. Doch noch ist es eher eine Aufbruchstimmung, durch die es erst langsam zu Veränderungen kommt. Zwar sieht man schon Anzeichen, wie die Politischen künftig behandelt werden, doch noch sind es eben Anzeichen, die nicht jeder ernst nimmt. Signe von Arnsberg wirkt etwas überkandidelt, so dass es kein Wunder ist, dass sie nicht für voll genommen wird. In diesem Fall muss Paula einiges durchleiden. Zum einen ihre Unsicherheit Martin gegenüber, zum anderen das kühle Verhältnis zu ihren Eltern und es belastet sie auch, wenn sie mit den Toten konfrontiert wird. Es entwickelt sich langsam ein Fall, der Paulas ganzes Können fordert und sie auch über Hamburg hinausführt. Obwohl die Erzählweise bei diesem zweiten Fall fast ein wenig zu ruhig ist, so ist die Geschichte von Signe und ihrer Tochter umso fesselnder. Was da nach und nach ans Licht kommt ist erstaunlich und manchmal aus heutiger Sicht schwer nachzuvollziehen. Wie damals Menschen behandelt wurden, da ist man froh, das man heute lebt.


Diese ansprechende Reihe vor historischem Hintergrund, wird gerne empfohlen.


4 Sterne


Das Kind der Lügen von Helga Glaesener

ISBN: 978-3-499-00489-6




Mittwoch, 17. August 2022

Changes

Gerade hat Almut, die vier Kinder großgezogen hat, die Trennungsvereinbarung ausgehandelt. Sie hat erreicht, dass sie die Stadtteilwohnung bekommt. Bald stellt sie sich den neuen Nachbarn vor. Sympathisch ist ihr die Ärztin Tille mit ihrem Sohn Jan. Nachdem sie Yeliz kennengelernt haben, vereinbaren die drei Frauen um die fünfzig, sich jeden Donnerstag zum Essen zu treffen. Bald entwickeln sich die Treffen zu einem Wochenhighligt für die Drei. Einfach schön, sich über den Alltag und die alltäglichen Probleme, Wünsche und alle Themen auszutauschen, die ihnen so unterkommen. Mitunter geht es auch um richtig Ernstes, Die Frauen stellen fest, dass sie unterschiedliche Probleme mit dem selben Typen haben.


Besonders in mittleren Jahren, wenn man häufig glaubt, es ist alles geregelt, bahnen sich Veränderungen an, mit denen man nicht gerechnet hat. Der Ehemann hat eine andere, die Kinder ziehen aus oder stecken gerade in der tiefsten Pubertät oder im Beruf läuft nicht alles, wie gewünscht. Man muss sich manchmal auf etwas Neues einlassen und das kann doch Gutes bringen. Das jedenfalls stellen Almut, Tille und Yeliz fest. Ganz unerwartet haben sie sich gefunden und genießen die neue Freundschaft. Gemeinsam verändern sie sich und lernen noch besser, ihre Frau zu stehen.


Ein Titel, der sofort Erinnerungen weckt, saß man doch früher und tut es auch heute noch gerne in der Küche. Und auch das Cover ist besonders farblich toll gestaltet. Zwar bekommt man keine witzige Küchenkomödie, doch dafür lernt man die drei Frauen kennen, die jede auf ihre Art sympathisch sind, die mutig an die Probleme herangehen und die natürlich auch mal eine kleine Schwächephase haben. Da möchte man selbst gerne in diese Küche eingeladen werden. Almut, Tille und Yeliz wirken sehr authentisch, fast könnte man glauben, sie würden im nächsten Moment zur Tür hereinspazieren. Hat man sich mit den Damen angefreundet, bekommt man einen wunderbaren Familienroman, der zu jeder Jahreszeit passt.


4 Sterne


Am liebsten sitzen alle in der Küche von Julia Karnick

ISBN: 978-3-423-26333-7



Dienstag, 16. August 2022

Sonne des Orients

Der Fotograf Theo Jung ist auch nach über zehn Jahren noch vom Krieg gezeichnet. Im Jahr 1929  fährt er mit seiner Frau Dora und deren Familie nach Marseille. Von dort besteigen ein Schiff, das sie nach Maskat bringen soll. Dort will Doras Vater seinen wichtigen Geschäften nachgehen. Jung, der auf einem U-Boot gedient hat, fühlt sich auf dem Wasser ausgesprochen unwohl. Seiner Frau zuliebe unternimmt er die Reise dennoch. Zu Theos Entsetzen verschwindet Dora schon nach dem ersten Tag und die Mitreisenden behaupten, sie sei nie an Bord gewesen.


Theo Jung kann es nicht fassen. Eine Frau kann doch nicht einfach verschwinden, insbesondere von einem fahrenden Schiff. Jung, der seit dem Krieg nur mit Schlafmitteln zur Ruhe kommt, zweifelt an sich selbst. Sollte er doch zu viele Medikamente eingenommen haben? Hat er sich die Anwesenheit seiner Frau nur eingebildet? Angesichts der Panikattacken, die ihn jederzeit auf dem engen Schiff überfallen können, scheint der Gedanke garnicht so abwegig. Nein, nein, Jung muss seinen Verstand beieinander behalten. Gleichzeitig will er wenigstens etwas von der Reise mitnehmen. Die exotischen Orte bieten tolle Motive für seine Kamera und ein paar Mitreisende, mit denen sich ein interessanter Austausch entwickeln kann, gibt es auch.


Ende der 1920er scheint noch alles gut, die Geschäfte laufen und die Stimmung ist hervorragend. Da könnte so eine Schiffspassage, während derer man das Gute mit dem Nützlichen verbindet, gerade in die Zeit passen. Doch was ist, wenn ein Verbrechen geschieht. Immer bedrohlicher wird die Lage für Theo Jung. Neben dem Rätsel um Doras Verschwinden gibt es auch einen leerreichen Überblick über die Geschäftswelt in der damaligen Zeit, die Art des Reisens und auch das Aufkommen der politischen Rechten. Vielleicht kommt einem der Gedanke an den Tod auf dem Nil, aber vor dem geschichtlichen Rahmen, der in Deutschland angesiedelt ist, ergibt sich doch ein ganz anderer Roman. Man fiebert mit Theo Jung, der herausfinden will, wo seine Frau ist, der aber gleichzeitig auch zusehen muss, dass er seine eigene Position beschützt. 


Ein intelligent komponierter Kriminalroman, der klassische Elemente mit einer spannenden und überraschenden Geschichte kombiniert.


4 Sterne


Die Passage nach Maskat von Cay Rademacher

ISBN: 978-3-8321-8197-0





Samstag, 13. August 2022

Wohltätige Algorithmen

Endlich ist es geschafft, das bedeutendste Social Media Unternehmen, die größte Suchmaschine und das größte Versandhaus sind endlich vereint, zu Every, der allumfassenden Maschine zum Wohl der Menschheit. Gibt es jemanden, der die Machenschaften dieses Konzerns durchschaut? Zumindest Delany Wells fasst den Entschluss, Every muss von innen heraus bekämpft werden. Sie durchläuft das Assessment und bekommt tatsächlich ein Stellenangebot. In verschiedenen Abteilungen lässt sie Every an ihren Ideen teilhaben, von denen eine die Freiheit des einzelnen mehr einschränkt als die andere. Delany hofft, dass die Menschen sich irgendwann dagegen wehren müssen und Every zerschlagen wird.


Kann Delany allein gegen eine Riesenfirma antreten? Zumindest versucht sie es. Doch Delany hat nicht mit der Dummheit der Menschen gerechnet, die ihre Freiheit und das letzte bisschen Privatsphäre auch noch gerne aufgeben, wenn sie meinen, dass sie es freiwillig tun, es dem Umweltschutz dient oder dem Schutz der Gesundheit. Es scheint so, dass je abwegiger ihre Ideen sind, desto mehr springen die Kunden darauf an. Es gibt für alles eine App, die überwacht und mit Handlungsanweisungen zur Stelle ist. Wo bleibt die Revolution? Niemand steht auf. Nur ihr Freund Wes unterstützt Delany von außen. Was hat es dann zu bedeuten, dass auch er bei Every anfängt?


Ob man in der Welt von Every leben möchte, sollte man sich echt überlegen. Am besten sollte man dann auch gleich ein paar Gedanken daran verschwenden, wie weit es schon ist. Vielleicht auch gleich ein paar Apps und Konten löschen und wieder ganz oldschool im Laden einkaufen. Leider lässt sich die Zeit nicht zurückdrehen, aber schön wäre es doch, wenn die Menschen etwas weniger technikgläubig währen. Die Bosse irgendwelcher Firmen wollen genau eines, Geld scheffeln. Mit welchen Mitteln sie das schaffen, ist ihnen großen Teils egal. Wäre es anders, gäbe es noch eine Art von Menschlichkeit und Etikette. Alles irgendwelchen Algorithmen zu überlassen, zeugt nicht gerade von Mitgefühl. Man wünscht bei diesem gut vorgetragenen Hörbuch, nie in so einer Welt leben zu müssen und schaudert so manches Mal beim Hören.


3,5 Sterne


Every von Dave Eggers

ISBN: 978-3-8398-1923-4




Mittwoch, 10. August 2022

Lebe den Traum

Nach dem Krieg wurden die Waisenkinder Helga und Jürgen von Franzosen aufgenommen. Jahre später als sie schon die Hoffnung aufgegeben haben, ihre Familie wiederzufinden, bekommen sie vom Suchdienst die Nachricht, dass ihr Vater aus der Kriegsgefangenschaft doch noch zurückgekommen ist. Aufgeregt fahren die 15jährige und ihr ein Jahr älterer Bruder nach Köln. Mit ihrem Vater fühlen sie sich sofort wohl. Doch die geliebte Mutter bleibt verschwunden. Glücklicherweise dürfen sie weiterhin in ihrem Elternhaus wohnen, dass ihrer Tante Meta gehört. Dort lernt Helga die energische Fanny kennen, die versucht etwas aus ihrem Leben zu machen. Helgas großer Traum ist es, aufs Gymnasium zu gehen.


Die Nachkriegszeit der 1950er ist geprägt von Aufbruchstimmung, aber weder der Krieg noch die Nazi-Zeit sind aus den Köpfen der Menschen verschwunden. Zu Helgas Überraschung ist ihr Vater gegen ihren Schulbesuch. Er schickt sie auf eine Hauswirtschaftsschule, weil Mädchen sowieso mal heiraten. An dieser Schule ist Helga kreuzunglücklich, nur den theoretischen Fächern kann sie etwas Interesse entgegenbringen. Ihr Bruder findet schnell eine Stelle bei Ford. Er packt seine Zukunft an und beginnt eine Ausbildung. In seiner knapp bemessenen Freizeit fängt er an, das heruntergekommene Haus zu renovieren und er hilft Fanny bei der Einrichtung ihrer Bar für Eis und Milchshakes. 


Mitreißend schildert die Autorin die Erlebnisse der Geschwister Helga und Jürgen in der Folge ihrer Heimkehr nach Köln. Allzu viel bricht über sie herein. Besonders Helga muss so Manches ertragen. Schon die ungeliebte Schule und später das Praktikum im verhassten Waisenhaus bringen sie an den Rand dessen, was ein junges Mädchen in einer Zeit, die eigentlich die unbeschwerteste im Leben sein sollte, zu erleiden in der Lage ist. Es hätte für zwei Schicksale gereicht. Dennoch bohren sich Helgas Erlebnisse dem Leser in die Seele. Unglaublich, wie die Kinder, besonders die farbigen Kinder, in den Heimen behandelt wurden, oder auch die vermeintlich gefallenen Frauen. So etwas darf doch nicht sein. Helgas Empörung wird schnell zur eigenen. Wie konnte man damals nur? Oder wie kenn man heute nur? Zum Glück ist einiges besser geworden, aber wohl noch längst nicht alles. Ein absolut lesenswerter Roman über die gute alte Zeit, die nicht immer gut war.


4 Sterne


Findelmädchen von Lilly Bernstein

ISBN: 978-3-548-06568-7




Montag, 8. August 2022

Einfach glücklich

Seine Narben versteckt Felix nicht. Weiblich geboren hat er sich so nie wohl gefühlt. Der Vater unterstützt Felix bei seiner Transformation. Dort, wo seine Mutter sein sollte, ist eine Wunde. Die Mutter verließ die Familie als Felix zehn Jahre alt war und sie hat den Kontakt abgebrochen. Beste Freunde sind dagegen Felix und Esra. Gemeinsam gehen sie kurz Kunstschule, an der sie sich auf den Abschluss vorbereiten. Auch in der Freizeit hängen sie zusammen ab. Felix ist in großer Sorge, ob er ein Stipendium ergattern wird. Vielen von seinen Zukunftswünschen hängt  davon ab. Eine krude Verletzung seiner Privatsphäre bringt alles in Gefahr.


Transgender ist ein ein Thema der heutigen Zeit. Felix, der seine Identität such, ist wahrscheinlich ein gutes Beispiel, dass alles im Fluss ist. Auch in seiner Peergroup entsprechen viele nicht dem, was immer noch als Norm angesehen wird. Wie Felix haben auch sie damit zu kämpfen, wie Familie und Freunde auf ihre Besonderheit reagieren. Und nicht immer bleibt ihnen die Familie erhalten. Eltern, die manchmal sehr klare Vorstellungen von der Zukunft ihrer Kinder haben, tun sich mitunter ausgesprochen schwer, wenn die Sprösslinge nicht dem Bild entsprechen. Wie viel Kraft muss es kosten, zu sich selbst zu stehen, wenn die eigen Familie Einen nicht vollständig unterstützt.


Gefühlvoll und klar beschreibt Felix das Rinden um das eigene Selbst, seine Persönlichkeit. Mit siebzehn hat es niemand leicht, große Unsicherheiten bestehen und es ist die Zeit, Weichen für die Zukunft zu stellen. Und für Felix kommt eben noch die grundlegende Entscheidung hinzu, welcher geschlechtlichen Identität er sich zugehörig fühlt. Die Innere Zerrissenheit eines jungen Menschen ist so , dass man die Not gut nachvollziehen kann, auch wenn man die Problematik aus eigener Anschauung nicht kennt. Wenn man sich in der eigenen Jugend anders sozialisiert hat, so ist es doch klasse, welche Möglichkeiten heute bestehen. Dafür, dass auch jeder das Recht dazu hat, bricht dieser Roman auf ansprechende Art eine Lanze.


Das farbenfrohe und sehr ansprechende Cover könnte ein Ausdruck dafür sein, wie die Welt sein könnte.


4 Sterne


Felix ever after von Kacen Callender

ISBN: 978-0-0628-2025-9

Samstag, 6. August 2022

Selbstfindung

Dem selbstständigen Anwalt Björn Diemel geht es eigentlich gut. Seine größte Freude ist seine kleine Tochter. Es stört in nicht so sehr, dass seine Ex-Frau einen neuen Freund hat. Nur die Feier zu seinem 45sten Geburtstag war ein ziemliches Fiasko. Also sucht Diemal mal wieder seinen Achtsamkeitsberater Joschka Breitner auf. Der rät ihm, in der Mitte des Lebens mal über dasselbige nachzudenken. Auch solle er überdenken, was er vom Leben möchte. Eine gute Möglichkeit böte eine Pilgerfahrt. Björn, der davon keine Ahnung hat, lässt sich auf das Abenteuer ein. Er will den Jakobsweg durchwandern und zu sich selbst finden.


Ob noch mehr Tote auf sein Konto gehen werden, dass ist nicht die Frage, die sich Björn Diemel bei seinem dritten Auftritt stellt. Dieses Mal ist es nicht seine Ex-Frau, die ihn zu seinem Therapeuten schickt. Er geht von alleine hin und er macht sich auf zum Jakobsweg. Die Pilgerreise ist eine ganz neue Erfahrung, zu deren Beginn er einen freundlichen älteren Herrn, mit dem er sich sofort gut versteht. Das Pilgern erweist sich als nicht so einsam, wie es sich Björn vorgestellt hat. Dennoch schafft es Diemel, seinen Gedanken nachzuspüren und einigen unerwarteten Ereignissen auszuweichen.


Dass Björn Diemes diesmal nicht nur die gewohnten Gedankenpfade, sondern tatsächlich auch das Land verlässt, gibt dem Roman eine neue Frische bei einem wiederum ähnlichen Muster. Vielleicht sollte man selbst auch mal die Lösung auf sich zukommen lassen. Wie sich Diemel hier wieder aus eigentlich unmöglichen Situationen herauswindet, ist schon stark. Dass dabei der Sinn des Lebens und die Nachschau in der Mitte des eigenen Daseins nicht zu kurz kommen, gibt ein zusätzliches Plus. Vielleicht ist der Gedanke an einen Pilgerweg nicht so abwegig, man muss ja keine Toten an den Hacken haben, um mal über das Leben nachzudenken. Was ist Diemel erschließt, ist manchmal schon erstaunlich und am Ende gänzlich unerwartet.


4 Sterne


Achtsam morden am Rande der Welt von Kasrsten Dusse

ISBN: 978-3-453-27356-6




Freitag, 5. August 2022

Höhere Töchter

Im Jahr 1928 ändert sich die Welt, allerdings nicht so schnell wie Paula Haydorn es gerne hätte. Obwohl die als Fabrikantentochter eher zu den Privilegierten gehört, will sie doch einen Beruf ausüben und unabhängig sein. Dafür hat sie eine Ausbildung zur Stenotypistin absolviert. Als sie eines Abends ausgeht, verläuft der Abend anders als erwartet. Paula gerät in eine Razzia und wird festgenommen. Schlimmer könnte ihre Lage kaum sein, doch beinahe unglaublich schafft Paula es, sich in diesem Moment bei der weiblichen Polizei in Hamburg vorzustellen und eine Stelle zu ergattern. Wegen ihres Zeichentalents darf sie dann auch gleich an einer Mordermittlung teilnehmen. Sch


Der erste Fall für Paula Haydorn und ihre neuen Kollegen und Kolleginnen. In dieser Zeit sind die Vorgesetzten meistens Männer und sie suchen allerlei Begründungen wieso, die Frauen sich nicht für die Polizeiarbeit eignen. Wie gut, dass es einige wenige gibt, die das anders sehen. Dabei wird Paula förmlich ins kalte Wasser gestoßen, denn eine Prostituierte ist brutal ermordet worden. Paula merkt sofort, dass es ihr liegt, dieses Spuren suchen, zusammenfügen, protokollieren. Hm, gut, eigentlich ist sie nur fürs Protokoll zuständig, aber das hindert ja nicht, mal links und rechts zu schauen. Am wenigsten begeistert von dem Jobwechsel sind jedoch Paulas Eltern.


Auch im Hamburg des Jahres 1928 sind die Auswirkungen des drohenden Nationalsozialismus  bereits zu spüren. Zum Glück noch nicht im alltäglichen Leben. Es zeichnet sich der Fortschritt ab. Immer häufiger gehen Frauen einem Beruf nach und immer mehr Berufe öffnen sich ihnen. Möglicherweise tun sich die älteren Generationen etwas schwer mit ihren aufmüpfigen Töchtern. Doch irgendwann musste eine Entwicklung einfach ihren Anfang nehmen, durch die uns heute so vieles selbstverständlich geworden ist. Eingebettet in einen spannenden Fall mit einem überraschenden Ende zeichnet die Autorin diese Entwicklung sehr lesenswert nach. Vielleicht kommen Paula mitunter einige Zufälle mehr zupass als man für möglich halten möchte, dafür ist sehr schön geschildert, wie sich Paula zwischen ihren neuen Kollegen und Kolleginnen einlebt und sie zu einem Team zusammenwachsen. In diesem ersten Band einer Reihe empfindet man viel Sympathie für die jungen Ermittler und die neu eingesetzten Mitarbeiterinnen der Polizei.


4 Sterne


Die stumme Tänzerin von Helga Glaesener 

ISBN: 978-3-499-00488-9