Sonntag, 30. Juni 2019

In Ewigkeit


Als 13jähriger Junge wurde Ben mit der Leiche seiner Mitschülerin Mathilda in den Armen gefunden. Er wurde beschuldigt, das junge Mädchen umgebracht zu haben. Jahrelang war er in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht. Erst mit Anfang zwanzig konnte er in eine Wohngruppe ziehen und später nahm er die Gelegenheit wahr, ein Fotolabor zu führen. Nach langen Jahren jedoch kommen beängstigende Erinnerungen zurück. Ben beginnt wieder, seine Psychologin von damals aufzusuchen. Sie ermutigt ihn, sich seinen Erinnerungen zu stellen. Sie glaubt an ihn, seine jahrelangen Fortschritte. Ben ist unsicher. Wird er etwas in Gang bringen, was er nicht aufhalten kann?

Bens Eltern haben sich nicht gut um ihren Sohn gekümmert. Man könnte daher auf die Idee kommen, der Mord sei eine Folge der ungenügenden Fürsorge gewesen. Die Sorge, etwas könne aufgerüttelt werden, was besser in Ruhe bliebe, erscheint also durchaus berechtigt. Kann man Psychologen glauben, die Patienten für geheilt oder so gefestigt erklären, dass sie sich dem aussetzen können? Man denkt schnell an Presseverlautbarungen, in denen die Beurteilungen durch Psychologen nicht so gelungen waren. Allerdings wie so häufig registriert man nicht, wie oft sie richtig lagen. Und da ist ja auch noch Bens Jugendfreund Felix, der damals mit ihm durch dick und dünn ging. 

Die Geschichte von Ben und Felix ist dermaßen an den Haaren herbei gezogen, dass man einfach nicht glauben kann, was man da liest. Man sucht nach einem psychologischen Trick, nach einer gewissen Raffinesse. Und dennoch - der Roman ist wie er ist und damit einfach sehr spannend. Setzt man sich über die eigene mangelnde Fähigkeit, die Story zu glauben, hinweg, erhält man eine schnell geschnittene, fesselnde Erzählung, die in sich schlüssig ist. Die kurzen Kapitel, deren Stil zwischen Erzählung und Rede wechselt, ist rasant und ansprechend. So ein Roman lässt sich leicht in einem Rutsch durchlesen, wobei die Kapitelüberschriften schön gruselig gestaltet jeweils eine eigene Seite bekommen, wodurch es noch etwas schneller vorangeht. Ein Buch, das man an einem Sommernachmittag inhalieren kann.

3,5 Sterne (🐳🐳🐳+)

Bösland von Bernhard Aichner
ISBN: 978-3-641-17205-3


Samstag, 29. Juni 2019

Oma Rita


Maxim ist beinahe sechs, seine Großeltern sind mit ihm von Russland nach Deutschland gekommen. Sie wohnen noch im Übergangsheim. Die Großmutter betüdelt Max zum einen von hinten und vorn, zum anderen jedoch führt sie auch ein strenges Regiment. Es gibt einfach zu viele Dinge, die Max nicht darf. So vieles ist verboten, weil es gefährlich sein könnte. Max’ Opa ist dagegen die Ruhe selbst, kaum je sagt er etwas, immer wirkt er zuverlässig. Und doch ist er es, der sich in der Fremde neu verliebt. Und Max ist der, der mit der Tochter der neuen Liebe zur Schule geht.

Wo sind denn seine Eltern? Schließlich ist Max mit den Großeltern da. Und die Großmutter, die die Bekanntschaft ihres Mannes mit Nina eher noch bestärkt. Merkt sie nichts oder macht sie es absichtlich. Man kann sie nicht durchschauen, allerdings traut man ihr so einiges zu. Schließlich wird vermutet, dass sie mal eine gefeierte Tänzerin war. Indessen quält sich Max mit seiner Nicht-Schwester Vera, die schon in jungen Jahren geschäftstüchtig ist. Doch auch Max entledigt sich findig der vielen Einschränkungen, die ihm die Großmutter auferlegt. Man stelle sich nur das erste Eis spendiert vom Großvater vor, das er kaum zu essen wagt.

Sie sind schon sehr skurril die Mitglieder dieser ungewöhnlichen Patchwork-Familie. Aus Sicht des erwachsenen Lesers wirken die Kinder noch am normalsten, obwohl das bei den Eltern nicht so einfach ist. Die Großmutter scheint so ein russisches Urgestein zu sein, die eigentlich an Deutschland am liebsten kein gutes Haar lassen würde. Man fragt sich, wieso sie überhaupt eingewandert sind. Das hat dann aber wohl etwas mit Max zu tun, der, obwohl er in den Augen der Großmutter nicht viel taugt, doch eine bessere Zukunft haben soll. Man kann sich richtig vorstellen, wie Oma Rita mit nur wenigen deutschen Worten alle einschüchtert und sich nur mit ihrem Tonfall auch auf russisch verständlich machen kann. Und so schmunzelt man mit ihnen, leidet manchmal und schüttelt auch mal den Kopf, über die etwas gewöhnungsbedürftige Auffassung der Einwanderer. Mit Leichtigkeit schafft es die Autorin uns deren Lebenswelt nahe zu bringen, einfach im Sinne, so sind sie eben. Diese erfrischende Familiengeschichte hat Tiefgang, zum Glück ohne Schwermut auszulösen.


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Der Zopf meiner Großmutter von Alina Bronsky
ISBN: 978-3-462-05145-2


Freitag, 28. Juni 2019

Fremde Schwester


In der Nähe von Marseille wird die schlimm zugerichtete Leiche eines jungen Mädchens gefunden.  Da ein terroristischer Hintergrund nicht auszuschließen ist, wird die pan-europäische Eingreiftruppe hinzugezogen, was bei der örtlichen Polizei nicht gut ankommt. Dennoch beginnen die herausragende Profilerin Zara von Hardenberg und ihr schwedischer Assistent Isaakson mit den Ermittlungen. Der Tot des Mädchens scheint tatsächlich auf etwas Größeres hinzudeuten, doch für die Polizei ist es nahezu unmöglich, an Aussagen aus dem Umfeld der Jugendlichen zu bekommen. Die Mauer des Schweigens ist undurchdringlich. Zara sieht nur noch eine Möglichkeit, sie muss ihre Schwester kontaktieren, mit der sie seit zwölf Jahren kein Wort mehr gewechselt hat.

Zwei Schwestern wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Zara, die Polizistin, die sich streng an Recht und Gesetz hält. Zoe, die genau davon nichts wissen will und nur nach ihren eigenen Regeln spielt. Kann es zwischen den Beiden überhaupt eine Zusammenarbeit geben? Vor dem Hintergrund der möglichen Unruhen in den Banlieues, den Vorstädten, in denen ein Außenstehender kaum noch Zutritt hat, in dem häufiger Drogenhandel und Gewalt das Alltagsbild bestimmen, entwickelt sich der altbekannte Kampf Gut gegen Böse. Korruption und Machtmissbrauch tun ein Übriges dazu, die Situation zu verschlimmern. Möglicherweise muss es zu einem Knall kommen.

Wohlmöglich sind die ungleichen Schwestern nur ein Mittel, um die Handlung des Romans in die gewollten Bahnen lenken zu können. Dies allerdings funktioniert sehr gut. Unversehens fühlt man sich hineinkatapultiert in eine fremde und bedrohliche Welt. Vorstädte, in die man nur noch mit Begleitschutz, hineinermitteln kann. Das jagt einem mehr als einen Schauder über den Rücken. Auch wer da mit wem verflochten ist und weshalb gewisse Dinge geschehen, man möchte es eigentlich nicht glauben und doch ist es nich völlig von der Hand zu weisen. Wie konnte diese Welt nur so werden? Und wie soll sie wieder in ruhigere und freiheitlichere Bahnen gelenkt werden? Auch wenn hier zunächst das Schlimmste verhindert wird, ist die Welt nicht gerettet. Schließlich handelt es sich bei diesem packenden Thriller um einen Reihenstart, der weitere gefährliche Abenteuer mit einem realistischen Hintergrund erwarten lässt. 

4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Zara und Zoë - Rache in Marseille von Alexander Oetker
ISBN: 978-3-426-30715-1


Dienstag, 25. Juni 2019

Azzurro


Thea Engel ist noch nicht lange bei der Mordermittlung Stuttgart. Mit ihrem Partner Machoman Micha Messmer muss sie sich noch etwas zusammenraufen. Da kommt der Mordfall an dem Ehemann einer Industriellen herein. Der Mann wurde in seinem Arbeitszimmer von der Putzfrau tot aufgefunden. Die Ehefrau Helene Hauser wäre normalerweise die erste Verdächtige, sie jedoch hat das Alibi einer Auslandsreise. Je tiefer die Ermittler graben, desto mehr finden sie über die Machenschaften des Opfers heraus und die Zahl der Verdächtigen steigt und steigt. Nur kann niemandem etwas nachgewiesen werden. Und die Zeugen erweisen sich als eher unkooperativ. 

Zwar bilden die knapp 30jährige Thea Engel und ihr einiges älterer Kollege Messmer ein ungleiches Paar, aber was die Polizeiarbeit anbetrifft harmonieren sie doch. Da können sie sich in den Vernehmungen schon die Bälle zuspielen. Doch zunächst hilft es nicht, alle Beteiligten halten mit Informationen hinter dem Berg. Allem Anschein nach, gab es mehrere, die ein Hühnchen mit dem Opfer zu rupfen hatten, allerdings bestreitet jeder etwas mit der Tat zu tun zu haben. Die Schnüffler müssen das Leben von Hauser wahrlich auf Links drehen, um einen Ermittlungsansatz zu finden und landen doch immer wieder bei den unschönen Charaktereigenschaften des Toten. Schließlich wird Thea durch die Ereignisse auch mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert.

Mit gekonnten Worten und Schilderungen führen die Autorinnen ihre sympathischen Ermittler und deren Umfeld ein. In Ihrem ersten Fall haben sie gleich ein Opfer, an dem man sich ordentlich reiben kann. Hauser scheint doch ein recht mieser Typ gewesen zu sein, der nicht vor allzu vielen Dingen Halt gemacht hat. Mit Geschick und Findigkeit agieren die Beamten und verfolgen jeden noch so kleinen Hinweis. Ein Krimi geradlinig und ohne viel Chi Chi, angesiedelt in Stuttgart, was im ersten Band aber eher im Hintergrund bleibt. Dieser Krimi bietet zwar keine großen Nebenaspekte, dadurch dass er immer nah am gut konstruierten Fall bleibt und am Schluss mit einigen Überraschungen aufwartet, hält er in jedem Moment das gespannte Interesse des Lesers am Ausgang der Sache aufrecht.

3,5 Sterne (🐳🐳🐳+)

Die Farbe des Himmels von Britta Reissmann und Silvija Hinzmann
ISBN: 978-3-9614-8109-5

Montag, 24. Juni 2019

Schnappschuss


In ihrer Freizeit jobt die Schülerin Stella an der Kinokasse. Nach der Vorstellung ist sie allein, ihr Freund holt sie gleich ab. Aber ist sie überhaupt allein? Kurze Zeit später werden Fotos und Videos über Snapchat versendet, die großes Entsetzen auslösen. Offensichtlich wurde das junge Mädchen gequält und entführt. Eine fieberhafte Suche beginnt. Auch wenn die Fotos etwas anderes zeigen, hofft man Stella noch lebend finden zu können. Kommissar Huldar, mit dessen Arbeitsbeziehung zu Erla es nicht zum Besten steht, beginnt mit den Befragungen unter den Mitschülern. Auch die Psychologin Freyja wird hinzugerufen. Sie soll ihre Meinung zu dem Geschehen abgeben und bei den Befragungen dabei sein, um den Schülern zur Seite zu stehen.

Es ist bereits die dritte Zusammenarbeit von Huldar und Freyja, deren private Bekanntschaft kaum vorhanden ist. Auch beruflich hat sich Huldar ins Abseits manövriert. Mit seinem Partner wird er eher für Nebenaufgaben abgestellt. Doch zielsicher wie das blinde Huhn findet Huldar mehr als nur ein Körnchen. Man mag von seiner Persönlichkeit halten, was man möchte, er ist einfach ein gewiefter Polizist mit dem richtigen Näschen. Dieses allerdings hat auch Freyja, auch wenn sie bei Erla aus gewissen Gründen nicht immer auf offene Ohren trifft. Beinahe unvorstellbar ist es, wie jemand etwas gegen eine offensichtlich beliebte Schülerin gehabt haben kann. Gerade hier kann Freyja ihre Beobachtungsgabe einbringen.

Schenkt man dem privaten Geplänkel zwischen Huldar, Erla und Freyja nicht ganz so viel Aufmerksamkeit, bekommt man einen ausgesprochen fesselnden Kriminalroman, mit dem ein sehr aktuelles Thema zur Sprache gebracht wird. Man bekommt eine Vorstellung, wie es heutzutage zugeht in unseren Schulen, zwischen den Kindern. Die Jugend ist zwar die schönste Zeit, aber manchmal auch die Schwerste. Die Frage, wie jemand dazu kommen kann, ein junges Mädchen zu töten, wird auf atemberaubende Weise geklärt. Die geschickt versponnenen Fäden führen dabei zwar geradlinig zum Ziel, das aber mit so viel Können, dass man gebannt an jeder Seite klebt und manchmal kaum fassen kann, was man liest. Ein Krimi wie er im Buche steht, mit einem Fall, der einen sprachlos macht.


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

R.I.P. von Yrsa Sigurdardóttir
ISBN: 978-3-442-75665-0


Sonntag, 23. Juni 2019

Pennyroyal


Als Tom und Hester den bekannten Buchautor Nimrod Pennyroyal kennenlernen, sind sie sehr angetan. Sie haben von seinen Reisen gehört und gelesen. Gerne nehmen sie ihn mit nach Anchorage, einer Stadt, die von einem jungen Mädchen geführt wird, nachdem die meisten Bewohner gestorben oder geflohen sind. Auch Freya ist begeistert von Pennyroyal. Sie versucht mit ihrer Stadt nach Amerika zu kommen, wo es nach Pennyroyals Beschreibungen noch sesshafte Menschen und grüne Wälder geben soll. Doch lange können die Pläne nicht verfolgt werden, Bald schon droht Gefahr von Raubstädten und Kampfschiffen.

Die Reihe um die fahrenden Städte wurde soweit bekannt nicht vollständig übersetzt. Die Reihe setzt mit dem Vorgängerband quasi in der Mitte ein. Im vorliegenden Band sind Tom und Hester, zusammengeschweißt von den vorherigen Ereignissen, gemeinsam unterwegs. Hester ist sicher, wegen der Verletzungen im Gesicht, wird Tom der Einzige für sie bleiben. Dennoch sind sie offen für neue Abenteuer. Die Chance nach Amerika zu kommen, erscheint da sehr verlockend. Die Beschreibungen in Pennyroyals Bücher sind verheißungsvoll. Freya, auf der Suche nach einer neuen Heimat und mehr Sicherheit, könnte gut zu dem kleinen Trüppchen passen. Allerdings spürt Hester schon bald die Eifersucht an ihr nagen.

Auch dieses Hörbuch wird gekonnt vorgetragen von Robert Frank. Wenn man die Idee der fahrenden Städte mag, wird man ein kurzweiliges Hörerlebnis geboten bekommen. Pennyroyal ist ein Charakter, der polarisiert und deshalb in Erinnerung bleibt. Tom und Hester sind echte Sympathieträger, denen man gerne auf ihren Pfaden folgt. Ihre Wesenszüge sind lebendig geschildert und ihre Handlungsweisen nachvollziehbar. Man möchte sie manchmal zurückhalten oder warnen, doch nur aus Fehlern, die man selbst macht, kann man lernen. Und so hört man von Kämpfen, von Liebe und Verrat und wird dabei sehr gut unterhalten.

4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Mortal Engines - Jagd durchs Eis von Philip Reeve
ISBN: 978-3-7342-5239-2


Samstag, 22. Juni 2019

Nie aufgeben


Während einer Veranstaltung wird der angesehene Gönner der Stadt Chicago Elliot Rosenzweig von einem alten Herrn beschuldigt, während der NS-Zeit schwerste Verbrechen begangen zu haben. Der alte Ben Solomon wird aus dem Saal geführt. Doch er ist sich sicher, er hat in Rosenzweig den SS-Offizier Otto Piontek erkannt. Als Kinder und Jugendliche sind sie zusammen aufgewachsen und doch wurde Otto zu einem der schlimmsten Mörder dieser Zeit. Wie allerdings soll Ben das beweisen? Er engagiert die Anwältin Catherine Lockhart und den Privatdetektiv Liam Taggart. Auch diese Beiden muss er erstmal von seiner Geschichte überzeugen.

Nicht davonkommen dürfen diese Nazi-Verbrecher, die so viel Leid über so viele Menschen gebracht haben. Und doch etliche konnten sich davonstehlen, mit Geld und Helfershelfern entzogen sie sich ihrer gerechten Strafe. Jahre später sind auch die entflohenen Täter alt geworden. Sollen sie verfolgt werden, wenn sie nach der langen Zeit noch entdeckt werden? Mord verjährt nicht, zurecht. Es gilt alles daranzusetzen die Mörder ihrer Strafe zuzuführen. Und genau das macht der alte Ben Solomon. Er gibt nicht auf in seinem Streben nach Gerechtigkeit. Die Taten des Otto Piontek müssen gesühnt werden. Mit der tatkräftigen Unterstützung von Lockhart und Taggart geht Solomon seine schwierigste Aufgabe an.

Mit diesem Buch geht der Autor ein wichtiges Thema an. Findet man heute noch einen Nazi-Verbrecher, ist dieser auch schon betagt. Vielleicht hat er jahrelang ein unauffälliges und unbescholtenes Leben geführt und sagt so etwas wie, was wollt ihr denn noch, es ist schon so lange her, ich bin alt. Aber kann dieses Argument gelten? Nicht umsonst gibt es für Mord keine Verjährung. Natürlich muss solchen Leuten der Prozess gemacht werden, natürlich darf ein Ben Solomon nicht aufgeben. Da die Täter häufig keine Reue zeigen, sind sie im Gefängnis richtig untergebracht. Da können vermeintlich gute Taten keinen Ausgleich bilden. Ob sich nicht zu viele unter dem Schutz ihrer Gönner  der Verfolgung entziehen konnten. Sicher, doch den Glauben an das Rechtssystem halten die aufrecht, die sich dem entgegenstemmen. Obwohl die sehr erzählende Darstellung der Handlung den Lesefluss etwas bremst, sollte man sich dieses wichtigen Buches annehmen.


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Hannah und ihre Brüder von Ronald H. Balson
ISBN: 978-3-7466-3509-5



Freitag, 21. Juni 2019

Die Vier


Aus einem Haus heraus wird eine Frau erschossen und ein Polizist schwer verletzt. Kommissarin Fariza Nasri fordert zwar Verstärkung an, doch allein betritt sie das Haus, aus dem die Schüsse kamen. Zum Glück tritt kein weiteres Unheil ein, der Täter ist bereits geflohen. Ein eher mittelmäßiger Neuanfang nach der Sache damals, wegen der sie jahrelang in der Provinz Dienst schieben musste. Ihr Chef Polonius Fischer ist nicht ganz zufrieden, baut aber weiter auf ihre Qualität als Ermittlerin. Bald muss der pensionierte Polizist Jakob Franck einem Vater eine Todesnachricht überbringen. Und der inzwischen als Privatdetektiv arbeitende Tabor Süden bekommt den Auftrag eine verschwundene Person zu suchen.

Hier stehen sie schließlich zusammen, die vier Ermittler besonderer Güte. Ein Geflecht aus Fällen, die möglicherweise zusammenhängen oder auch nicht. Ein Jeder, eine Jede trägt etwas bei, sei es Spürsinn, Kombinationsgabe oder einfach das Kribbeln im Nacken, das untrüglich sagt, hier stimmt was nicht. Jeder auf seine Weise gräbt nach der Wahrheit, eine Wahrheit, die man, nachdem man sie unter den Schichten der Lüge hervorgezerrt hat, vielleicht lieber nicht gewusst hätte. München scheint ein Moloch aus Verbrechen, Hass und Gewalt zu sein. Ein Ort, an dem es nur kleine Inseln der Hoffnung gibt, Menschen, die über sich hinauswachsen, die für andere einstehen. Wie soll die Polizei noch ihre Arbeit tun, wenn sie selbst von der Gewalt durchströmt ist.

Im ersten Moment kommt schon die Frage auf, ob es etwas zu viel ist, die geballte Kraft der aufrechten Kämpfer für Wahrheit und Gerechtigkeit zu vereinen. Doch folgt man den feinen Verästelungen der Handlung, stellt man bald fest, dass jeder auf seine Art gebraucht wird. In diesem düsteren Bild unserer Gesellschaft, verliert man fast die Hoffnung auf eine andere Zeit. Man wünscht die Düsternis möge sich selbst zu viel werden und sich andere Gestade suchen. Ein Funke aufrechten Handelns möge eine farbenfrohe Helligkeit entfachen, eine Aufbruchstimmung, die eine freiere Welt verheißt. Und wenn es dazu dieser vier standhaften Ermittler bedarf, dann nimmt man ihre Hilfe gerne an. 

4,5 Sterne (🐳🐳🐳🐳+)

All die unbewohnten Zimmer von Friedrich Ani
ISBN: 978-3-518-42850-4



Donnerstag, 20. Juni 2019

Postbotin mit Herz


Sie lebt, wo andere Urlaub machen. Und sie nimmt es nicht für selbstverständlich. Wenn Daphne Penrose von ihrer Heimat Cornwall erzählt, gerät sie ins Schwärmen. Das vom Golfstrom gesegnete Klima, das die Bäume und Pflanzen gedeihen lässt. Die mal liebliche, mal raue Landschaft. Die gewachsenen und liebevoll erhaltenen Städtchen. Was will man mehr? Einen Mord auf jeden Fall nicht und zwei schon garnicht. Doch genau das passiert. Der angesehene Arzt Dr. Finch wird während einer Veranstaltung erschossen und nahezu gleichzeitig wird eine weitere Leiche entdeckt. 

Auch in ihrem zweiten Fall begeben sich Daphne Penrose und ihr Mann Francis auf Verbrecherjagd. Inspektor Vincent hat vornehmlich seinen Urlaub im Kopf und dennoch mach auch er sich daran, den Mörder zu finden. Als Botin der Royal Mail mit ihrem Fahrrad unterwegs nutzt Daphne jede Gelegenheit, den Leuten auf den Zahn zu fühlen. Wer kann nur etwas gegen den Doktor gehabt haben? Nicht so einfach ist es, etwas herauszufinden, war der Arzt doch allseits beliebt, einzig in Geldangelegenheiten hat er mitunter ein strengeres Regiment geführt, als nötig gewesen wäre. Doch reicht das als Motiv? Da könnte schon eher ein Corpus Delicti, das Francis untergekommen ist, zu einer echten Spur werden. 

Wenn es nach dem Autor ginge, müsste man sofort nach Cornwall reisen und sich die Schauplätze des Romans selbst anschauen. Und, wer weiß? Vielleicht würde einem Daphne irgendwo über den Weg radeln. Vielleicht sollte man sich da beeilen, denn so leicht wie heutzutage wird es später vielleicht nicht mehr sein. Doch nicht nur die Begeisterung des Autors für Cornwall ist ansteckend, auch der Enthusiasmus, mit dem er seinen Figuren Leben einhaucht, wirkt ausgesprochen sympathisch. Die liebenswürdige Neugier, mit der Daphne unterwegs ist, passt zu ihrem Beruf und auch zu ihrer Berufung. Nie verliert Daphne dabei die Balance, sie merkt, wann es zu viel würde bevor der oder die Befragte überhaupt merkt, dass er oder sie Informationen preisgibt. In technischen Details versierter steht Francis seiner Frau in nichts nach, außer,  dass er hin und wieder doch den Beamten die Arbeit überlässt. 

Ein vergnüglicher Kriminalroman, der Urlaubsgefühle weckt und mit einem spannenden und überraschenden Fall überzeugt.

4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Mörder unbekannt verzogen von Thomas Chatwin
ISBN: 978-3-499-27686-3


Sonntag, 16. Juni 2019

Vom Finden


Im Jahr 1962 stirbt Marilyn und Cheri Matzner wird geboren. Allerdings ist die Geschichte ihrer Herkunft nicht so einfach. Ihre leibliche Mutter bringt sie in einer kleinen Klinik in Trenton zur Welt und verschwindet kurz nach der Entbindung. Das junge Ehepaar Matzner erwartet ein Kind. Es ist tragisch, der kleine Junge stirbt kurz nach der Geburt. Cici Matzner fällt in eine tiefe Depression, auch weil sie keine Kinder mehr bekommen kann. Sol sieht eine Chance darin, das neugeborene Mädchen zu adoptieren. Und so wächst Cheri in einer wohlhabenden Familie auf, hat die Möglichkeit zu studieren und überhaupt auf ein glückliches Leben.

Es könnte so schön und einfach sein, ist es aber nicht. Selbst die kleine Cheri merkt bald, dass ihre Familie nicht so ist wie andere. Cici kommt aus Italien und hat ihren Akzent nie abgelegt. Sols Familie hat sich von ihm abgewandt als er seinen Willen durchsetzte und Cici heiratete. Und Cici vereinnahmt ihre Tochter etwas arg. Sie will es besonders gut machen und vergisst, dass eine Mutter auch mal loslassen muss. Auch Cheris Verhältnis zu Sol ist eher angespannt. Von ihm möchte sie unabhängig sein. Nach einigen Versuchen in verschiedenen Jobs, ist Cheri nun verheiratet. 

Dies ist wieder mal eines der Bücher, die sich möglicherweise erst dann erschließen, wenn man das letzte Kapitel beendet hat. Zunächst wirken die Handlungsstränge etwas zusammenhanglos und man fragt sich manchmal, weshalb einiges so angelegt ist, wie es ist. Je weiter man liest, desto mehr fügt sich alles zusammen. Cheris Persönlichkeit gewinnt mehr Kontur und man kann für die meisten ihrer Handlungen viel Verständnis entwickeln. Sie schafft vieles selbst und manchmal erhält sie Hilfe von ganz unerwarteter Seite. Cheri Matzner ist ein ungewöhnlicher Charakter, dem man außerordentlich gönnt, in sich selbst zu ruhen. Ein durchaus lebensbejahender Roman, in dem tragische Momente mit großer Authentizität geschildert sind.

4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Das wilde Leben der Cheri Matzner von Tracy Barone
ISBN: 978-3-257-07055-2

Samstag, 15. Juni 2019

Ins Licht


Es ist die Zeit der Forscher und Entdecker. Im Jahr 1885 reist der frisch verheiratete Lieutenant-Colonel Allen Forrester mit einer Expedition nach Alaska. Seine Frau Sophie hat gerade erfahren, dass sie ihr erstes Kind erwartet und kann ihn deshalb nicht begleiten. Das wäre ihr Wunsch gewesen, obwohl es wohl von einigen nicht als schicklich angesehen worden. Doch auch ihr Aufenthalt in den Vancouver Barracks stößt einigen auf. Auch wenn sie die junge Charlotte als Haushaltshilfe hat, so ist es doch nicht üblich, dass eine junge wenn auch verheiratete Frau allein lebt. 

Aus dem getrennten Erleben der jungen Eheleute entwickelt sich ein besonderes Spannungsfeld, welches es fast unmöglich macht dieses Buch aus der Hand zu legen, wenn man sich an die Art der Darstellung gewöhnt hat. Sehr persönlich und emotional ist die Zeit für Allen und Sophie. Sie beide machen eine Forschungsreise durch, jeder auf seine Art und jeder in seiner Umgebung. Allen Forrester bricht in eine nahezu unerforschte Welt auf, er bereist Gegenden, die kaum ein anderer Weißer gesehen hat. Auch Sophie bricht in die noch junge Welt der Photographie auf. Sie experimentiert mit den noch unvollkommenen Mitteln. 

Auch mit der nur grob umrissene Rahmenhandlung schafft es die Autorin weitere Sympathien zu wecken. Forscher in den verschiedensten Lebenssituationen, beeindruckende Schilderungen der rauen Landschaft eines fast unentdeckten Alaskas, die persönlichen Gedanken und Gefühle der Protagonisten. Dieser Roman beinhaltet eine Fülle, die man zunächst nicht vermutet, wenn man mit der Lektüre beginnt. Der Reiz der eher beschreibenden Form erschließt sich aber schnell und nimmt einen völlig gefangen. Mit großem Ideenreichtum schafft es Eowyn Ivey einen in die Zeit der Entdecker zurückzuversetzen und einen lebendigen Eindruck derer Forschungen zu bekommen. Man fühlt sich beinahe selbst als derjenige, der seinen Fuß zuerst an ein fremdes Ufer setzt. 

Ein tolles Buch für Leser, die gerne entdecken, dass sie Interesse an noch viel mehr Themen haben als sie bisher meinten.

4,5 Sterne (🐳🐳🐳🐳+)

To the Brigth Edge of the World von Eowyn Ivey
ISBN: 978-1-4722-0862-0



Donnerstag, 13. Juni 2019

Der Bär


Vor vielen Jahren hat sich eine junge Frau aus einer Sportmannschaft bei einem Aufenthalt in Oslo in den Westen abgesetzt. Sie ist am Ziel ihrer Träume und wird doch nicht glücklich. Und irgendwann ist sie nur noch eine vermisste Person. Als im Jahr 2016 in einem See eine Frauenleiche gefunden wird, ist es Tommy Bergmann, der versucht etwas über die Identität der Toten herauszufinden. Noch nach der langen Zeit ist erkennbar, dass die Frau keines natürlichen Todes gestorben ist. Und so wird aus einem Leichenfund unversehens eine Mordermittlung, in die bald auch der Geheimdienst eingreift.

Der kalte Krieg, lange vorbei, so glaubt man wenigstens, und doch bietet er einen fesselnden Hintergrund zu diesem packenden Kriminalroman. Tommy Bergmann hat sich gefangen, bleibt aber doch er selbst. Mit Ecken und Kanten und nicht immer im Sinne seines Vorgesetzten handelnd, so kennt man ihn. Zum Teil wird seine Art genutzt, um zweifelhafte Aktionen auszuführen, dann wieder wird sie ihm vorgehalten, um ihm mit Jobverlust zu drohen. Gerade so wie es passt. Tommy Bergmann bleibt am Ball, ihm geht es um die Wahrheit und nicht um die Produktion eines Ergebnisses, das manchen gut in den Kram passen würde.

Ist der kalte Krieg überhaupt jemals zu Ende gewesen? Jedenfalls wirkt er in die Gegenwart nach und hat manche Menschen nie losgelassen. In den 1970ern und 80ern war manchmal nicht mehr klar, wer Freund und wer Feind ist. Jeder spionierte gegen jeden und eine junge Frau gerät zwischen die Fronten. Durch die Flucht hat sie jeglichen Kontakt zu ihrer Familie verloren, allein muss sie ihre Entscheidungen treffen. Man könnte meinen Tommy Bergmann ist in einer ähnlichen Situation, ein Einzelgänger, der manchmal keine Rücksicht auf Verluste nimmt. Mit fein ziselierten Worten schildert der Autor wie Bergmann bei seinen Ermittlungen vorgeht. Stück für Stück deckt er die Strukturen auf, die die junge Frau damals umgaben und letztlich zu ihrem Tod führten. Durch den Wechsel zwischen Rückblende und Gegenwart wird der Leser langsam in immer größer werdende Anspannung versetzt. Welches Bild wird sich am Ende ergeben. Die gekonnte Mischung aus Politthriller und Mordermittlung ist sehr überzeugend. In diesem Fall ist nichts so wie es scheint.

4,5 Sterne (🐳🐳🐳🐳+)

Die stille Tochter von Gard Sveen
ISBN: 978-3-8437-2034-2



Dienstag, 11. Juni 2019

Florida Industrial

Elwood scheint vom Leben begünstigt zu sein. Er lebt bei seiner Großmutter, die ihrem Enkel ein besseres Leben wünscht. Sie hält ihn an fürs College zu sparen, obwohl farbige Jugendliche in den 1960ern kaum eine Chance haben, eine höhere Schule zu erreichen. Ruhig, mit großem Gerechtigkeitssinn, beseelt von Dr. Martin Luther King ergreift Elwood die Möglichkeit, an einem Kurs am College teilnehmen zu können. Doch gerade in seinem glücklichsten Moment schlägt das Unheil zu. Obwohl er nur zur Schule trampen wollte, wird er als sich herausstellt, dass das Fahrzeug, in dem er nur Beifahrer ist, gestohlen war, zu einem Aufenthalt in einer Besserungsanstalt verurteilt.

Auch in seinem neuesten Werk greift der Autor die Thematik des Rassismus in Amerika auf. An einem Beispiel, dass einem fast das Herz rausreißen muss, stellt er die Situation zu Beginn der 1960er Jahre vor. In die gleichen Restaurants wie die Weißen dürfen sie nicht, allenfalls als Bedienstete, aber in Besserungsanstalten können die Farbigen schnell mal landen. Ein beinahe schon lächerlich nichtiges Vergehen reicht. Es ist als wolle die so genannte vorherrschende Schicht auch noch jede kleinste Chance zerstören, das sich etwas ändern kann. Gleichberechtigung bedeutet schließlich auch, dass die mal abgeben und zurückstecken, die es noch nicht gewöhnt sind. Möglicherweise eine lehrreiche Erfahrung.

Ein wenig Zeit braucht man, um in diesen Roman hineinzufinden. Doch spätestens, wenn man sich über die Ungerechtigkeit aufregt, die Elwood seiner Chancen beraubt, ist man angekommen. Auch an diesem fürchterlichen Ort bleibt Elwood ein ruhiger Vertreter, der versucht, seinen Weg möglichst schnell hinaus zu finden. Man ist dabei, die Daumen für eine Art Gelingen zu drücken und weiß doch, dass an solchen Orten der widerwärtigen Machtausübung, Daumen drücken meist nicht nützt. Elwoods Schicksal berührt, er ist ein so geradliniger Charakter, der eine gute Zukunft verdient. Mit unnachahmlicher Kunst schafft der Autor einen stillen Helden, den man so schnell nicht vergisst. Auf diesen fesselnden und nachdenklich machenden Roman will man sich gerne einlassen, auch wenn die innewohnende Tragik machmal das Herz beklemmt.

„Hier drin ist es genauso wie draußen, nur muss hier keiner mehr so tun als ob.“

4,5 Sterne (🐳🐳🐳🐳+)

Die Nickel Boys von Colson Whitehead
ISBN: 978-3-446-26276-8



Montag, 10. Juni 2019

Das schöne Zimmer


November 1920 in Wien, die wirtschaftliche Lage ist schlecht, das Wetter ebenfalls. Die Menschen leiden unter Hunger, Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit. Auch Kriminalinspektor August Emmerich lebt nicht auf großem Fuß. Immer noch ist er auf der Suche nach seiner Lebensgefährtin Luise, die von ihrem Mann entführt wurde, der eigentlich im Krieg als vermisst gegolten hatte. Als die Nachricht hereinkommt, eine Leiche sei gefunden worden, machen sich Emmerich und sein Assistent Winter sofort auf den Weg. Ein Mann wurde eigenartig drapiert und ein später auftauchender Bekennerbrief gibt weitere Rätsel auf. 

Ein wenig erinnert die Schilderung des Lebens und des Verbrechens in Wien an Berlin zu eben jener Zeit. Es gibt Banden, die die Stadt unter sich aufteilen wollen. Schieber und Schmuggler sind allenthalben unterwegs, um ihren Vorteil aus der schlecht laufenden Wirtschaft und der wachsenden Geldentwertung zu ziehen. Der verlorene Krieg bringt unterschiedliche politische Strömungen hervor, die das Land und die Stadt verändern wollen, wobei ihnen jedes Mittel recht ist auch das der Gewalt. Die normalen Menschen leben häufig im Elend, Kinder werden allein gelassen und müssen zusehen, wie sie zurechtkommen. Es ist eine dunkle kalte Zeit, in der der dunkle Bote umgeht. August Emmerich unternimmt alles, um den Mörder zu stoppen.

In seinem dritten und wohl persönlichsten Fall will August Emmerich sowohl das Rätsel um den sogenannten dunklen Boten lösen als auch seine Lebensgefährtin wieder zurück an seine Seite bringen. Manchmal ist er garnicht so sicher, wie er seine Prioritäten setzen soll. 

Die Schilderungen über den Beginn des Winters 1920 in Wien treffen wirklich ins Mark. Der Krieg hat das Land ausgelaugt, es ist nichts mehr wie es war. Anscheinend gibt es nur noch Verbrechen, Not und Elend. Man fragt sich tatsächlich, wieso Menschen schon so relativ kurze Zeit später Menschen wieder in den Krieg zogen. Auch August Emmerich ist verwundet heimgekehrt, doch unverzagt geht er seiner Arbeit nach, um die Welt wenigstens etwas besser zu machen. Nicht immer kann ihm das vollständig gelingen, doch gerade das macht seine Figur umso authentischer. Auch wenn hier die Kriminalistik manchmal eher zur Nebensache gerät, brilliert dieser spannende Roman mit einem detaillierten Sittengemälde seiner Zeit. 


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Der dunkle Bote von Alex Beer
ISBN: 978-3-8090-2703-4


Sonntag, 9. Juni 2019

New in Town


Mit seiner Tochter ist Konrad Michaelsen von Köln nach Hamburg gezogen. Mathilda ist also neu an der Schule. Pia Flemming ist zum ersten Mal als Klassenlehrerin eingesetzt. Sie beschließt für ihre 7d gleich mal einen Elternabend durchzuführen. Dorthin macht sich Konrad auf den Weg, dem als alleinerziehender Vater das Wohl seiner Tochter sehr am Herzen liegt. Etwas überrascht ist er von Pia, dem zweiten Klassenlehrer Tom Wohlfahrt und einigen anderen Eltern. Konrad Michaelsen, dessen Broterwerb darin besteht, Renzensionen nach Kundenwunsch zu schreiben, kann nicht umhin sich über einige Anwesende einige Notizen zu machen.

Man muss sich vorstellen, wie Konrad im Renzensionsstil über seine Mitmenschen parliert, da kriegt man ein Grinsen nicht aus dem Gesicht. Doch nicht nur lustig geht es zu in diesem Familienroman mit Herz. Denn Konrad hatte durchaus einen Grund, Köln zu verlassen. Einen Grund, von dem Mathilda nichts wissen soll. Und auch Pia ist nicht die Gipfelstürmerin, in ihrem ersten Einsatz als Klassenlehrerin muss sie sich erst finden und so leicht machen es ihr Eltern und Kinder nicht. Doch beherzt nimmt sie ihre Aufgabe an. Und wie man bald erfahren muss, können Kinder doch manchmal recht grausam sein. Man denke da nur an die eigentlich harmlose Sitzordnung, mit der es aber durchaus echte Probleme geben kann. Und Neue in der Klasse werden auch genau unter die Lupe genommen.

Wie bei einem Bild; mit wenigen Federstrichen schafft es die Autorin, die Stimmung ihrer handelnden Personen zu umreißen. Wenn die 12jährige Mathilda erste Pubertätslaunen an den Tag legt, ihr Vater hilflos amüsiert stolz reagiert, kann man sich bestens vorstellen, was da läuft. Vielleicht erinnert man sich an die eigene Jugend oder hat selbst Kinder, mit denen man da durch musste. Oder Pia Flemming in ihrer neuen Rolle als Klassenlehrerin, natürlich etwas unsicher, aber doch kreativ und ideenreich. Und die unterschwelligen oder manchmal auch gar nicht so unterschwelligen Strömungen in der Klasse geben dem Roman gewiss viel Lebensechtheit. Es ist nicht immer nur lustig wie im echten Leben. Gekonnt hält die Autorin die Balance zwischen heiteren und ernsten Phasen, wobei sie den Leser nach und nach immer mehr in den Bann ihrer Geschichte zieht.


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Fünf Sterne für dich von Charlotte Lucas
ISBN: 978-3-8090-04114-9


Freitag, 7. Juni 2019

Lebensfülle


In jungen Jahren ist Maximilian ein einfacher Mann, der eine einfache Frau liebt. Dass sein Vater Friedrich III Kaiser des Heiligen Römischen Reiches ist, stört zunächst nicht. Allerdings ist Friedrich ein großer Ränkeschmied, der Reiche lieber mittels Ehegelübden erobert als durch Kriege. Und sein Hof ist zwar verschwenderisch aber nicht reich, auch deshalb kann eine Eheschließung manchmal sinnvoll sein. Im jugendlichen Ungestüm möchte Maximilian alle Konventionen über Bord werfen und seine Rosina heiraten. Die Ehe mit Marie von Burgund möchte er nicht eingehen und nur zögernd macht er sich auf den Weg. 

Auch ein künftiger König und Kaiser ist erstmal nur ein Mensch. Und so kämpft er bei Ritterspielen und verliebt sich in die junge Rosina mit den großen Augen und den wilden schwarzen Locken. Bald allerdings wird er vom Vater an die Staatsräson erinnert. Da gibt es Kämpfe auszufechten, sich Vorteile zu verschaffen im europäischen Machtgefüge. Versprechen gelten da nicht immer viel, so manches Wort wird gebrochen. Immer ist das Haus Habsburg in Geldnot und es muss nach Verbündeten und Geldgebern gesucht werden. Die Königskinder sind da häufig nur Spielbälle der Macht. Irgendwie schafft es Maximilian, sich treu zu bleiben.

Lebendig und spannend wird Maximilians Aufstieg zur Macht dargestellt. So viel passiert in dieser nicht allzu langen Zeit, dass man staunt, was alles in so ein Leben passt. Und dabei sind die Könige und Königskinder doch auch Menschen mit Eigenschaften, die sie mehr oder weniger liebenswert erscheinen lassen. Da wird geliebt, gelitten, intrigiert und gekämpft. Das Streben nach Geld und Macht ist allgegenwärtig. Am Ende des Buches gibt der Autor einen Überblick darüber, was historisch belegt ist. Und das ist eine ganze Menge, was bestätigt, dass in Maximilians Leben eine ganze Menge los war. Das ganze ist in so packende Worte gekleidet, dass die Lektüre wahrhaft kurzweilig und doch lehrreich ist.


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Ich, Maximilian, Kaiser der Welt von Peter Prange
ISBN: 978-3-596-19819-1


Montag, 3. Juni 2019

Insekten der Sehnsucht


In einem kleinen griechischen Bergdorf sind die Zeiten vorbei, in denen die Salzstraße Reichtum und Wohlstand brachte. Die alte Maria hat noch Teile der guten Zeichen kennengelernt und für ihre Familie möchte sie diese erhalten. Dabei spinnt sie die Fäden, was sich nicht immer zum Besten der Versponnenen auswirkt. Ein besonderes Anliegen ist es für sie, dass die Kinder ihrer Töchter heiraten. Eleni und Lefti sind in ihrer Kindheit ein Herz und eine Seele. Doch Eleni möchte lieber eine Heldin sein als heiraten. Sie engagiert sich politisch, was sie kurzzeitig ins Gefängnis bringt. Es bleibt ihr nur die Heirat mit Lefti, mit dem sie gemeinsam nach Deutschland geht.

Letztlich über fünf Generationen spannt sich diese herzerwärmende Familiengeschichte, begonnen mit Maria, deren Töchter, Elenie und Lefti, Elenis Tochter Aspasía, deren Söhne Iannis und Manolis. Sie sind mit bei den ersten Griechen, die es nach Deutschland verschlägt. Ein Arbeitsvertrag ist in den 1960ern die heiß ersehnte Eintrittskarte. Während es Lefti, der sich schon immer durch Pünktlichkeit ausgezeichnet hat, nach einiger Zeit und nachdem er seine Deutschlehrerin Trudi näher kennengelernt hat, zöge es Eleni eher in die Welt der Politik, wäre da nicht der charmante Musiker Otto. Unter diesen Umständen ist die junge Ehe zum Scheitern verurteilt.

Mit viel Wärme und Herzlichkeit beschreibt die Autorin die Geschichte einer griechisch-internationalen Familie beginnend ungefähr 1956 bis in die heutigen Tage. Temperamentvoll sind die Familienmitglieder, manchmal etwas überschäumend im Ausdruck, aber zurückhaltend mit Gefühlen. Man sieht förmlich wie Eleni mit wilder Lockenpracht durchs Leben stürmt und Lefti eher ruhig nach seinem Glück sucht. Manchmal sind es Sekunden, die dem Leben eine andere Wendung geben. Schweren Zeiten folgen glückliche Tage geradeso wie im echten Leben. Neue Erdenbürger werden willkommen geheißen und von anderen heißt es Abschied nehmen. An manchem zerbricht die Familie fast, doch immer ist ein gewisser Zusammenhalt zu spüren. Und wenn man irgendwann das Buch zuschlägt im Bedauern, dass man gerne noch weitergelesen hätte, ist man doch bestens unterhalten von dieser Reise durch verschiedene Generationen und etliche Länder der Welt. 


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Makarionissi oder die Insel der Seligen von Vea Kaiser
ISBN: 978-3-462-04928-2


Sonntag, 2. Juni 2019

Wasserstop


Sie sind eine fröhliche Familie Alyssa, ihr Bruder Garrett, die Eltern und Kingston, der Hund. In Südkalifornien herrscht Wasserknappheit, es soll gespart werden, beim Duschen und Rasen sprengen. Als jedoch die Nachbarstaaten Kaliforniens dafür sorgen, dass der Colorado sein Ziel im Golf von Kalifornien nicht mehr erreicht, sieht sich die Regierung gezwungen, das Wasser abzustellen bis sich die Lage geklärt hat. Und nun stehen sie vor einer Situation, in der kein Wasser aus dem Hahn kommt. Schnell machen sich die Jugendlichen mit ihrem Onkel zusammen auf den Weg zum Supermarkt, um die Wasservorräte aufzufüllen. Schnell waren sie, aber nicht schnell genug. Gerade noch ein paar Säcke voller Eis können sie mit nach hause nehmen.

Es ist ja schon seltsam, wenn das Wasser angekündigt für ein paar Stunden abgestellt wird, weil etwas repariert werden muss. Wie mag es da erst sein, wenn unangekündigt nichts mehr passiert, wenn man den Wasserhahn bewegt. Nicht lange dauert es, bis die Menschen sich auf sich selbst zurückziehen. Das Hauen und Stechen um die restlichen Wasservorräte beginnt. Geteilt wird nicht. Wer nicht teilt ist böse und wer doch teilt ist ein Idiot. Schnell verrohen die Menschen und das System droht zu zerbrechen. Mit solch einer Situation sollte kein junger Mensch konfrontiert werden. Umso ernster ist das Thema zu nehmen, da ein kleiner Blick ins www genügt, um festzustellen, dass dieses Horrorszenario nicht so fern von jeder Wirklichkeit ist.

Hat man das Buch beendet, atmet man erstmal auf und geht zum Wasserhahn, um für einen kurzen Moment dem Rauschen zu lauschen. Man überlegt sich, die Vorräte für einen hoffentlich nie eintretenden Notfall aufzufüllen und ist schockiert, wie schnell etliche der Menschen, ihre Menschlichkeit verlieren. Sehr realitätsnah beschreiben die Autoren die Auswirkungen einer Katastrophe, die zunächst nicht einmal als solche erkannt wird. Was ist so eine kleine Wasserknappheit schon gegen einen Hurricane. Doch wer es nicht in die Nachrichten schafft, bekommt auch keine Hilfe. Zwar glaubt man, so schlimm wird es schon nicht werden, doch schnell wird man eines Schlimmeren belehrt. Aus Sicht der verschiedenen Jugendlichen bekommt man geschildert, wie ihre Situation immer dramatischer wird. Und mit jeder weiteren Wendung zum weniger Guten, hält man mehr die Luft an und hofft, es möge sich noch zum Besseren wenden.

Dieser Jugendroman ist zwar recht drastisch, aber ausgesprochen spannend, realistisch und wartet mit einem rasanten Finale auf.


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

Dry von Neal und Jarrod Shusterman
ISBN: 978-3-7373-5638-1