Sonntag, 27. September 2020

Biznes

Von zwei ihm unbekannten Quellen bekommt der Journalist Ilija Trojanow umfangreiches Material zugespielt. Das Material erscheint äußerst brisant, allerdings auch sehr umfangreich und unübersichtlich. Die Quellen stehen sich quasi diametral gegenüber, die eine scheint aus den USA zu kommen, die andere aus Russland. Ilija überlegt, ob er einem Schwindel aufgesessen sein kann. Trotz seiner Unsicherheit beginnt er weiter in dem Material zu graben und den Spuren zu folgen. Dabei bekommt er in Amerika Hilfe von Boris, der einen anderen Ansatz verfolgt und dessen Erkenntnisse sich mit den Ilijas zu einem wahren Politthriller vereinen.


Es handelt sich hier um eines der Bücher, die sich eher als Printausgabe empfehlen, denn mehr als einmal möchte man einen Stift zücken, um eine bestimmte besonders prägnante Stelle zu markieren oder um etwas anzustreichen, das man sich selbst noch einmal genauer anschauen möchte. Auch empfiehlt sich dieses Buch gewiss für eine zweite Lektüre, in der man mal vor und zurück blättern kann und sich den Stellen widmet, die beim ersten Durchlauf wegen der fortlaufenden Lektüre vielleicht zu kurz gekommen sind. Man muss in einigen Passagen schon genau hinschauen, damit man wenigstens das Meiste mitbekommt. Leider kann man sich nicht alles merken.


Was für ein Roman. Oder ist es überhaupt ein Roman? Beim Lesen etlicher Stellen drängt sich der Gedanke auf, man könne dies doch in der ein oder anderen Form so oder so ähnlich schon mal in anderen Publikationen gelesen haben. Wie eine Wühlmaus gräbt man durch das Buch nach Indizien und Hinweisen, um die eigene Auffassung zu bestätigen oder einen anderen Blickwinkel eröffnet zu bekommen. Allerdings muss man immer wieder mal absetzen, weil die Fülle der Information einfach zu viel wird. Auch wird der Lesefluss etwas gehemmt, wenn der fiktive Autor tief in seine Quellen einsteigt und man tatsächlich Wort für Wort aufnehmen muss, um nichts zu verpassen. Dennoch ist dieses Spiel zwischen Wahrheit und Fiktion sehr gelungen. Schon während der Lektüre beginnt man sich zu fragen, wo die Grenze zwischen diesen beiden Polen liegt. Und nach dem Umblättern der letzten Seite arbeitet der Inhalt noch in einem nach und man fragt sich, welchen Manipulationen man wohl selbst ausgesetzt ist und welche Informationen man nur gefiltert präsentiert bekommt.


Zitat: „Woran erkennt man einen Präsidenten auf Lebenszeit?  Er fälscht Wahlergebnisse. Sollte er trotzdem verlieren, annulliert er die Wahlen wegen „schwerwiegender Unregelmäßigkeiten“.“


4,5 Sterne (🐳🐳🐳🐳+)


Doppelte Spur von Ilija Trojanow

ISBN: 978-3-10-491203-5





Samstag, 26. September 2020

Poldi heiratet

Man mag es kaum glauben, etwa über ein Jahr, nachdem die Tante Poldi nach Sizilien gereist ist und sich dort ein Haus gekauft hat, um sich zu Tode zu saufen, steht der Hochzeitstermin mit dem Kommissar Montana. Und ihr Neffe, der Chronist, ist etwas unleidlich, weil er nicht so richtig beteiligt wird. Er gehört doch wohl dazu, oder? Doch bevor die Party steigen kann, muss noch das Verschwinden des Unternehmers Aldo Favorotta geklärt werden. Von diesem hatte die Poldi gehofft, einen Laden für ein Café mieten zu können, hat jedoch schnell festgestellt, dass Favorotta nicht an ehrlichen Geschäften interessiert war. 


Inzwischen hat Tante Poldi Sizilien im Blut. Der Leser hat einiges von ihr und ihrer Vergangenheit erfahren. Die Einladungen zu Poldis Hochzeit sind heiß begehrt. Doch Tante Poldi kann es nicht lassen. Wenn sich ihr quasi ein Rätsel in den Weg stellt, dann will sie es auch lösen. Zumal nach dem Verschwinden des Unternehmers auch noch eine Tote am Strand angespült wird. Doch auch die Hochzeitsvorbereitungen wollen bewältigt werden. Poldi oder Montana, da wird doch wohl keiner kalte Füße kriegen. 


Wieder mit leichter Hand geschrieben und vom Vorleser Christian Baumann gekonnt vorgetragen bietet dieser fünfte Teil um Tante Poldi und ihre sizilianischen Abenteuer eine kurzweilige Unterhaltung. Es macht Spaß zuzuhören und sich Poldis Sizilien vorzustellen. Südländisches Temperament gepaart mit dem Phlegma des Neffen, der leider auf einen Namen verzichten muss. Doch der Chronist schwimmt sich frei und auch die Poldi und Montana wagen einen Schritt in eine neue Zukunft. So bleibt etwas ungewiss, was der Autor mit seinen liebenswerten Protagonisten vorhat. Auch der Fall tritt etwas hinter Poldi, Montana, Neffen und Hochzeit zurück. Dennoch bereiten die lieb gewonnenen Protagonisten Freude und verkürzen so manche Autofahrt.


3,5 Sterne (🐳🐳🐳+)


Tante Poldi und der Gesang der Sirenen von Mario Giordano

ISBN: 978-3-7857-8094-7





Freitag, 25. September 2020

Exkursion

Nachdem Noras Mutter verstorben ist, wollte Liv der Cousine etwas Gutes tun. Sie schlägt vor, die beiden Familien sollten doch eine Kreuzfahrt unternehmen, damit Nora auf andere Gedanken kommen kann und ihre Familie trotzdem bei sich hat. Es scheint eine tolle Idee zu sein. Sie genießen die Tage an Bord. Irgendwann wollen sie doch etwas von Land und Leuten sehen. Die Männer wollen golfen, die Frauen und Kinder entscheiden sich für eine Zip-Line Tour. Doch leider hat das Fahrzeug des Tourguides eine Panne und die Gruppe legt eine Pause am Fluss ein, um auf ein Ersatzfahrzeug zu warten. In diesem entspannten Moment passen die Mütter einen Moment nicht auf und die Kinder sind verschwunden.

Welche Katastrophe, sechs Kinder und Jugendliche verschwinden in einem touristisch nicht erschlossenen Land, dass möglicherweise eher für Drogenschmuggel und Entführungen bekannt ist. Die Eltern machen sich große Vorwürfe, besonders die Frauen untereinander. Doch auch der Tourguide hätte aufmerksamer sein müssen, wenigstens hätte er aufklären müssen, dass die Flut den Fluss ins Landesinnere drückt. Doch was geschieht unterdessen mit den Kindern? Sie sind es, die sich in großer Gefahr befinden. Allein in einer unbekannten Umgebung, sich der Gefahren wahrscheinlich zunächst nicht bewusst.


Leichtsinnige oder auch unbedarfte Eltern und Kinder, die von einer makaberen Situation in die nächste geraten, die Szenen wechseln zwischen diesen beiden Polen hin und her. Das ist leicht zu lesen und spannend. Allerdings fragt man sich schon, wie so etwas passieren kann. Besonders wenn man selbst schon organisierte Fahrten mitgemacht hat und somit weiß, dass die meisten Tourguides gut geschult und verantwortungsbewusst sind. Gut nachvollziehbar ist, wie die Eltern langsam beginnen, sich zu zerfleischen. Es ist so ziemlich das Schlimmste, was einer Familie passieren kann, die Kinder in Gefahr zu wissen. Da ist es zwar nicht schön aber menschlich, wenn die Schuld bei den anderen gesucht wird. Gut auch zu lesen, dass es im vermeintlichen Urwald auch hilfsbereite Menschen gibt, denen es am Herzen liegt, dass den Vermissten kein größeres Leid zugefügt wird. 


Der Situationen in dem Roman wirken teilweise etwas schöngeredet, doch grundsätzlich kommt gut heraus, wie aus geplant wunderbaren Ferien eine große Katastrophe werden kann. 


3,5 Sterne (🐳🐳🐳+)


Bewahren sie Ruhe von Maile Meloy

ISBN: 978-3-036-95776-0

Sonntag, 20. September 2020

Berlin-Paris

Nach der Trennung von seiner Freundin will Jonas Becker gleich sein ganzes bisheriges Leben hinter sich lassen. Er hat sich darum bemüht, ein Buch über den bekannten, aber nicht so erfolgreichen Autoren Richard Stein schreiben zu dürfen. Dafür will er zunächst für ein Jahr in Paris leben, wo Stein sein Domizil hat. Beckers Ankunft in Paris gestaltet sich nicht so einfach, da er erst einmal nicht in sein Apartment kommt. Zur Ablenkung flaniert er durch die Straßen des Viertel Oberkampf, wo er in einem Bistro zufällig auf die jüngere Christine trifft, die schon bald seine Freundin wird. In diesem Moment kann Becker nicht ahnen, dass nur Stunden später durch den Anschlag auf die Zeitschrift Charlie Hebdo Paris eine andere Stadt sein wird.


Die Anschläge in Paris überschatten alles, den Alltag von  Jonas Becker allerdings überraschend wenig. Natürlich gibt es umfangreiche Presseäußerungen und Polizeipräsenz in den Straßen, aber man gewinnt den Eindruck, hätte Becker die Ereignisse verschlafen, hätte er gänzlich unberührt bleiben können. Da war es aus der Ferne möglicherweise sogar bestimmender. Jonas Becker nimmt bald nach seiner Ankunft Kontakt mit seinem Interviewpartner Stein auf. Dieser wirkt herrisch, manchmal abweisend und doch auch mitteilsam und umgänglich. Allerdings gewinnt Becker bald den Eindruck, Stein wolle sein Projekt für sich vereinnahmen. 


Der Autor dieses Buches, Hilmar Klute, hat selbst eine Zeit lang in Paris gelebt. Diese persönliche Kenntnis merkt man seinen Beschreibungen auch an, diese sind sehr authentisch und decken sich zum großen Teil mit dem, was einem selbst erinnerlich ist. Die Stadt pulsiert, dagegen wirken die Protagonisten mitunter etwas phlegmatisch. Jonas Becker ist mittendrin und gleichzeitig ein Fremder. Und man bekommt den Eindruck, nachdem er in Berlin alle Brücken abgebrochen hat, stolpert er gleich ins nächste Leben, dass nicht so selbstbestimmt ist wie er es gerne hätte. Der Roman beschreibt einen Ausschnitt der Mitte von Paris des schicksalhaften Jahres 2015. Herausragend beschrieben ist dieser Zwiespalt zwischen der Katastrophe und der Normalität. Dieser Roman kommt leise daher und rüttelt einen im Verlauf ganz schön durch.


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)


Oberkampf von Hilmar Klute

ISBN: 978-3-86971-215-4




Samstag, 19. September 2020

Platten-Jäger

Er besitzt eine kleine Wohnstätte in London, die er Bungalow nennt, in einem Zweifamilienhaus. In der unmittelbaren Umgebung ist das Kloster, in dem sich die Reichen und Schönen sich verwöhnen lassen. Und er kämpft mit der Reparatur des Warmwasserspeichers. Viel lieber würde er sich mit seinen Platten beschäftigen. Auf seinen Streifzügen durch die Secondhandläden findet er eine Platte, die er online gut verkaufen kann. Damit sind erstmal die wichtigsten Kosten gedeckt. Als jedoch eine geheimnisvolle Schöne bei ihm anfragt, ob er eine bestimmte Platte finden könnte, sagt er sofort zu. Den Lohn kann er gut gebrauchen.


Es ist der erste Fall für den Katzenliebhaber und Schallplatten-Jäger. Und nachdem er von der attraktiven N. Warren engagiert wird, macht er sich mit Feuereifer auf die Suche. Hinter dem gesuchten Objekt scheint mehr zu stecken, es gilt nicht nur eine seltene Schallplatte zu entdecken, sondern auch die Geschichte, die mit der Originalaufnahme im Zusammenhang steht. Doch zunächst hat Ms Warren etwas zu lernen, nämlich dass es unter den gebrauchten Dingen durchaus tolle Stücke zu entdecken gibt, die auch in ihrem ausgewählten Kleiderschrank gut machen. Ordentlichen Kaffee muss sie auch noch kennenlernen, nur die Katzen mag sie schon. Eigentlich will er es nicht gleich wahrhaben, aber sie ist die ideale Partnerin für einen wie ihn.


Es ist nicht immer ganz optimal, wenn man ein anderes, aber doch ähnliches Thema vor kurzem schon erlesen hat. Da fehlt dann ein wenig die Neuigkeit, auch wenn man sich keine Gedanken gemacht hat, welches Buch zuerst da war. Hier geht es ums zuerst gelesen. Und so hat der Vinyl-Detektiv einen erschwerten Start. Dagegen macht er sich aber ganz gut. Er und seine Mitstreiter müssen sich zunächst mal finden, sind aber durchweg sympathisch auch mit ihren Schrullen. Die Suche nach der Platte ist alles andere als einfach und wird sogar gefährlich. Je weiter sich die Geschichte entfaltet, desto spannender wird es. Auch wenn das Angebot an Detektiven schier unerschöpflich und auch schwer überschaubar ist, dieser Platten-Jäger hat sich für weitere Lektüre empfohlen.


3,5 Sterne (🐳🐳🐳+)


Murder Swing von Andrew Cartmel

ISBN: 978-3-518-46937-8




Freitag, 18. September 2020

Dunkle Straßen

Vor drei Jahren verschwand die 17jährige Lina. Ihr Vater hatte sie zum Bus gebracht und nicht gewartet bis der Bus kam. Der Busfahrer sagte aus, Lina sei nicht an der Haltestelle gewesen. Lennart, genannt Lelle, macht sich große Vorwürfe und obwohl die Polizei die Ermittlung nach der langen Zeit zwar nicht aufgegeben, aber doch runtergefahren hat, ist es Lelle, der jede Nacht durch die Umgebung fährt und immer weitersucht. Leider war Lelle bisher kein Erfolg beschieden. An Linas Stelle ist ein großes Loch in seinem Leben und auch seine Ehe ist nach dem Verschwinden seiner Tochter in die Brüche gegangen.


Eine Tochter verschwindet und ein Vater kann ihren Verlust nicht verwinden, während die Mutter versucht in ihrer Verzweiflung und Trauer nach vorne zu blicken. Aber hin und wieder findet Lelle einen Hinweis, der sich wenigstens neu anfühlt, auch wenn sich dann herausstellt, dass die Polizei dem doch schon nachgegangen ist. Der Polizist Hassan hilft Lelle hin und wieder, doch meist eher zu Lelles Beruhigung als mit handfesten Taten. Jeden Abend zieht Lelle los und überlegt, welche Straßen er noch nicht abgesucht hat. Er hält Augen und Ohren offen und manchmal trifft er auf seltsame Eigenbrötler.


Vielleicht hat man vor Kurzem ein Buch mit einem ähnlichen Ansatz gelesen und fragt sich, ob eine weitere Lektüre zu dem Thema neue Impulse bringen kann. Doch die Autorin hat einen spannenden Roman geschaffen. In dem sie dem Vater doch kleine Stücke Hoffnung gibt, macht sie die Suche doch irgendwie erfolgversprechend. Und als Leser wird man, nachdem man sich mit der Unangepasstheit des Vaters abgefunden hat, immer mehr gepackt. Gerade auch wenn die vermeintliche Nebenhandlung an größerer Bedeutung gewinnt. Zusätzlich bekommt man einen gefühlvollen Einblick in die tragische Situation einer Familie, die ihr einziges Kind verloren hat. 


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)


Dunkelsommer von Stina Jackson

ISBN: 978-3-442-49137-7




Donnerstag, 17. September 2020

Wieder neu

Sie sind ein Paar in immer wieder neuen Situationen, er und Marianne. Sie sind alt, sie sind jung. Sie reisen, getrennt oder zusammen. Sie fahren mit dem Auto, er führt kleine Aufträge für sie aus. Sie gehen in einen Swinger-Club. Oder sie sind vom Glück gesegnet auf einem Flohmarkt. Die Ausgangssituationen sind harmlos und sie könnten fast in jedem Leben stattfinden. Doch dann bekommen die Situationen eine Wendung, die wenigstens überraschend und mitunter skurril erscheint. Sie führen ein bewegtes Leben, das hin und wieder aus parallelen Universen kommen mag.


Das Wort Geschichten im Titel dieses Buches ist durchaus so gemeint, denn er und Marianne erleben nicht direkt ein gemeinsames Leben, sondern eher gemeinsame Geschichten, die so ausgehen können, dass es eigentlich nicht weitergehen kann. Doch immer wieder beginnt es von Neuen. Marianne und er geraten in ungewöhnliche, witzige oder auch aussichtslos Situationen. Sie können eigentlich nur der Phantasie wohl eher von ihm entsprungen sein. Die Erzählungen wirken so normal und doch so ungewöhnlich. Ist es das Leben, wie so normal wie es ist oder eher so aufregend, wie man es sich wünschen würde. 


Marianne und er in Geschichten. Der Anfang dieses Buches ist in seinem Aberwitz beinahe genial. Im Weiteren wird schnell klar, dass es sich bei den Geschichten eben um kurze Erzählungen über ihn und Marianne handelt, denen die Brücke eines Zusammenhangs fehlt. So erwecken die kurzen Beschreibungen eher einer Sammlung aus Eindrücken, wie es zwischen ihm und Marianne sein könnte oder gewesen sein könnte. So darf man manchmal schmunzeln und manchmal fährt einem der Schreck in die Glieder. Man könnte auch an Traum- oder Albtraumsequenzen denken. Jedenfalls ist man wieder und wieder überrascht und fliegt nur so durch die Seiten. 


Eine Geschichtensammlung, die mit ihrer Vielfältigkeit punktet und in ihrer Skurrilität oft überrascht. 


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)


Geschichten mit Marianne von Xaver Bayer

ISBN: 978-3-990-27175-9


 

Dienstag, 15. September 2020

Arctic Range

In der nähe des Arctic Henge bei Raufarhöfn auf Island findet der fast 34jährige Kalmann eine Blutlache. Eigentlich will er das nicht an die große Glocke hängen, aber irgendwie rutscht es ihm doch raus. Das führt zu heller Aufregung im Dorf, denn kurz zuvor wurde Róbert McKenzie zuletzt gesehen. Handelt es sich bei der Blutlache um eine Spur? Der etwas zurückgebliebene Kalmann ist in heller Aufregung. Es sind viele Fremde im Ort, Polizei und Rettungskräfte. Auch Kalmann soll sich an der Suche beteiligen. Wie sehr fehlt im sein geliebter inzwischen im Seniorenheim lebender Großvater, der mit seiner Ruhe immer einen Zugang zu Kalmann fand. 


Kalmann, der selbsternannte Sheriff von Raufarhöfn, ist eine spezielle Persönlichkeit. Zwar hat er mit einigen Einschränkungen zu kämpfen, aber er ist sehr naturverbunden und vor allem ist er nach seinem Großvater, der ihm so viel beigebracht hat, einer der letzten Grönlandhaifischer. Kalmanns Gammelhai ist der Beste Islands nach dem des Opas. Das Verschwinden des Dorfvorstehers ist schon eine seltsame Geschichte. Nach Meinung Kalmanns könnte Róbert auch von einem Eisbären verschleppt worden sein. Das will ihm aber keiner so recht glauben, auch nicht die Polizistin Birna, der er Rede und Antwort stehen muss. 


Dieser Roman hat auch etwas von einem Krimi, zumindest würde das Blut und die vermisste Person dafür sprechen. Mit Kalmann gibt er Autor eine liebenswerte Beschreibung eines nach Aussage der Mutter bei der Geburt geschädigten etwas einfältigen jungen Mannes. In der Stadt würde Kalmann vielleicht untergehen, doch im Dorf unter den Fittichen seines Großvaters hat er seinen Platz gefunden. Dumm ist Kalmann nicht, er weiß viel über die Natur und er ist in der Lage den Gammelhai herzustellen. Seine Sicht auf die Dinge ist ein wenig anders manchmal, aber auch sehr geradlinig und unverstellt. Kalmann führt den Leser mit seiner besonderen Art in eine leicht andere Welt ein, von der man mit Staunen erfährt. Aber auch einiges an Hochachtung gewinnt man vor Kalmann, der leicht unterschätzt werden kann. Da wird eine Lanze gebrochen für Menschen, die es schwer haben. Ein spannender Roman mit Krimielementen und einem zauberhaften Helden.


4,5 Sterne (🐳🐳🐳🐳+)


Kalmann von Joachim B. Schmidt

ISBN: 978-3-257-07138-2



Ohne Moral

Detective Dave Robicheaux wird beauftragt, sich einen alten Fall anzuschauen. Ein schwarzer Bürgerrechtlicher wurde vor langen Jahren umgebracht und der mutmaßliche Mörfer Aaron Crown verurteilt. Dieser behauptet nun, er sei es nicht gewesen. Obwohl es kaum Hoffnung für eine Wiederaufrollung des Falles gibt, geht Dave einigen Hinweisen nach. Seltsam kommt ihm allerdings vor, dass sich der künftige Gouverneur Burford LaRose für die Sache interessiert. Und nicht lange danach wird ein Filmreporter tot aufgefunden. Irgendetwas geht da nicht mit rechten Dingen zu und Robicheaux wird herausfinden, wie die Dinge zusammenhängen

Man könnte meinen, in New Iberia, wo Dave Robicheaux bei der Polizei tätig ist, habe sich sämtlicher white Trash aus ganz Louisiana versammelt. Und Dave bekommt im Laufe seiner Ermittlungen vermeintlich mit jedem davon zu tun. Und diese Leute haben keine Hemmungen, ihren Mitmenschen ganz absonderliche Dinge anzutun. Oder ihr Verhalten ist meist hinterhältig und gemein. Man kann Daves Wunsch, als Privatdetektiv in einer Nachbarstadt zu arbeiten, gut verstehen. Die Frage ist nur, ob es dort besser ist. Möglicherweise kennt er dort die Menschen nicht so gut. Aber ist nicht gerade das auch hilfreich bei den Ermittlungen? Wenn man sich gut auskennt, kann man die Menschen auch besser einschätzen.


Dieser Band ist der neunte Band in einer Reihe von bisher 23 Büchern. Zum einen sind die Bücher des Autors immer irgendwie gut, zum anderen allerdings wirkt es doch etwas aus dem Zusammenhang gerissen, wenn man einfach einen Band herausgreift. Auch führt der Autor immer wieder Personen ein, deren Namen einen Südstaaten-Klang haben und die sich damit so ähneln, dass man überlegt, wer war das nochmal. Der Bodensatz der Menschlichen Art, der sich hier trifft, sucht schon seinesgleichen. Dennoch ist das Buch spannend und auch, wenn man meint, gewisse Leute fallen immer auf die Füße, so gibt es doch eine ausgleichende Gerechtigkeit. Und Dave Robicheaux und seine Familie freuen sich auf Weihnachten.


3,5 Sterne (🐳🐳🐳+)


Nacht über dem Bayou von James Lee Burke

ISBN: 978-3-442-44041-6








Sonntag, 13. September 2020

Zweifaltigkeit

Die Verhältnisse im Elternhaus des Jungen sind schwierig. Der Vater hat für alles einen Bibelspruch zur Hand. Die Mutter ist häufiger wegen psychischer Probleme in der Klinik. Dann muss der Junge, dessen Schwester noch nicht alt genug ist, um auf ihn aufzupassen, zur Tante oder zur Oma Aschenbach. Bei der Oma auf dem kleinen Bauernhof fühlt er sich wohl, denn die Oma kümmert sich um ihn, während er sich daheim des Öfteren um die Mutter kümmern muss. Eigentlich würde der Junge lieber malen und einfach nur Kind sein. 


Es wundert einen nicht, dass der Junge von seiner Kindheit überfordert ist. Genau genommen hat er keine richtige Kindheit. So richtig auszudrücken wagt er es nicht, allerdings hat er schwerwiegende Hautprobleme, die der ärztlichen Behandlung bedürfen. Wenn man sich mit psychischen Erkrankungen nicht auskennt, könnte man auf die Idee kommen, die Eltern sollten sich besser um ihre Kinder kümmern, anstatt um sich selbst zu rotieren. Wahrscheinlich jedoch ist deren Wahlmöglichkeit eingeschränkt und wie eigentlich alle Eltern geben sie ihr Bestes, um den Kindern den Weg ins Erwachsenenleben zu ebnen. Es will ihnen nur nicht so recht gelingen. Der Vater flüchtet in die Bibel und wohl auch in den Alkohol, die Mutter flüchtet ins Krankenhaus. Die Oma scheint als Einzige relativ normal, auch wenn drei ihrer sechs Kinder früh gestorben sind und sie manchmal etwas viel vom Krieg redet.


Puh, so eine Familie möchte man nicht geschenkt. Man ist zum einen froh, dass es sich hoffentlich nur um einen Roman handelt und zum anderen ist man froh, dass es bei durchaus vorhandenen Schwierigkeiten in der eigenen Familie mehr Fröhlichkeit zu verteilen gab. In seiner Schwere hat der Roman durchaus einen Nachhall und die fehlende Gefälligkeit muss kein Nachteil sein. Die szenischen Beschreibungen entwerfen Bilder im Kopf. Doch manchmal fragt man sich, ob es der Tragödien nicht zu viele sind für ein kleines Leben. Immerhin der Junge ist stark und er steht seine Kindheit durch. Man fragt sich, ob man seine Stärke hätte oder ob man lieber auswandern würde. 


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)


Triceratops von Stephan Roiss

ISBN: 978-3-2180-1229-4




Samstag, 12. September 2020

Der Dachboden

Im Haus der Augsburger Puppenkiste tritt ein 12jähriges Mädchen neugierig durch ein geheime Tür. Sie landet auf einem dunklen Dachboden und findet den Weg zurück nicht. Doch plötzlich hört sie Geräusche und überrascht trifft sie auf Marionetten und sie selbst ist auf einmal so groß wie Urmel, Jim Knopf, Prinzessin Li Si und wie sie alle heißen. Ihre Geschichte und die des Theaters wird erzählt von Hatü, der Tochter des Gründers. Das Mädchen erfährt vom zweiten Weltkrieg und von Walter Oehmichen, der aus der Kriegsgefangenschaft mit der Idee des Puppentheaters heimkehrt. 


Die Nazizeit und der Krieg haben Spuren hinterlassen, bei Walter Oehmichen, aber auch bei seiner Frau und den beiden Töchtern. Die Menschen brauchen etwas, das ihre kindliche Seele erreicht. Der Krieg und die Nazi-Gräuel können nicht ungeschehen gemacht werden und sie dürfen nicht vergessen werden. Doch vielleicht können die Menschen etwas wie Kultur wiederfinden. Hier möchte Oehmichen ein Angebot machen, zunächst um die Kinder zu erreichen. Doch bald gibt es auch Inszenierungen für Erwachsene. Seine Tochter Hannelore, die Hatü genannt wird, ist schon früh dabei. Noch als Jugendliche schnitzt sie ihre erste Marionette, einen Kasperl, der sie irgendwie ängstigt, so dass der Vater ihm freundlichere Züge geben will.


In der Nachkriegszeit als alles darniederlag, war es eine ungewöhnliche Idee, ein Marionetten-Theater zu gründen. Doch vielleicht brauchten die Menschen einfach etwas Positives und durch den Mund der Puppen kann man manchmal mehr sagen als man es als Mensch wagen würde. Die Zeiten waren schwer, aber mit den Jahren machte sich auch eine Aufbruchstimmung breit. Hatü erzählt von einer Zeit, wie sie das Mädchen nie erlebte. Die Entbehrungen, aber auch der Mut des Neubeginns. Die Geschichte der Puppen und einiger großartiger Inszenierungen, die die Augsburger Puppenkiste weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt gemacht haben. Aber auch die Geschichte des Kasperls, die die damalige Zeit so deutlich widerspiegelt. Man glaubt, beinahe selbst auf diesem fensterlosen Dachboden zu sitzen und Hatü zu lauschen. Man fühlt sich ein wenig am eigenen Herzfaden gezupft und ist froh, dass man sich von den Ereignissen auf diesem Dachboden berühren lassen durfte.


5 Sterne (🐳🐳🐳🐳🐳)


Herzfaden von Thomas Hettche

ISBN: 978-3-462-05256-5 



Freitag, 11. September 2020

Roll the Dice

Kann die Gemeinsamkeit sein, dass es keine Gemeinsamkeit gibt? Kommissar Fabian Risk und sein Team stehen immer noch vor einem Rätsel. Sie haben unterschiedliche Morde und nicht wirklich einen Ansatzpunkt. Dennoch kommt Risk der Verdacht, dass die Fälle zusammenhängen und dass es möglicherweise einen Trittbrettfahrer gibt. Abseits von der eigentlichen Ermittlung geht Risk noch weiteren Hinweisen nach, was ihn bei der Chefin nicht gerade beliebter macht. Und wieder gibt es ein Opfer. Ein Opfer, das eigentlich gerettet schien. Wie perfide kann ein Täter vorgehen?


In seinem fünften Auftritt muss Kommissar Fabian Risk die rätselhaften Morde endlich aufklären. Zu diesem Band gehört der vorherige Teil „Der Würfelmörder“, der bereits unter dem Titel „10 Stunden tot“ erschienen ist. Im laufenden Fall bekommt man den Eindruck, Risk muss an allen Fronten kämpfen. Er verfolgt diese anderen Hinweise. Und auch in seiner Familie gibt es Probleme. Seine Tochter glaubt an Geister und sein Sohn hat sich mit den falschen Leuten eingelassen. Wie es um seine Ehe steht, kann auch nicht so leicht beantwortet werden. Doch wenigstens hat er eine Kollegin, der er vertrauen kann. Kann er es unter den ungünstigen Umständen überhaupt schaffen, den oder die Täter zu schnappen?


Ein Kriminalroman in zwei Teilen, ob das für den klassischen Krimileser, der davon ausgeht, der laufende Fall ist zum Ende des Romans weitgehend abgeschlossen, das Richtige ist, sollte eben jener Leser einfach ausprobieren. Spannend ist die weitergesponnene Handlung allemal. Zwar gerieren sich manche der handelnden Personen so, als ob sie einen ordentlichen Dämpfer gebrauchen könnten. Und wieder kann man sich fragen, was daraus noch werden wird. Dennoch fesselt Fabian Risk mit seinen ungewöhnlichen Ermittlungsmethoden und seinem Durchsetzungswillen. Er kämpft förmlich bis zur Erschöpfung, um dem Täter endlich das Handwerk zu legen. Hin und wieder fragt man sich, wie er denn jetzt darauf kommt, aber grundsätzlich ist die Handlung schlüssig und bei dem furiosen Finale hält man während des Lesens tatsächlich manchmal die Luft an.


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)


Die Rückkehr des Würfelmörders von Stefan Ahnhem

ISBN: 9783-3-8437-2241-4




Donnerstag, 10. September 2020

Der österreichische Buchpreis 2020

Seit 2016 wird der österreichische Buchpreis verliehen. Mit der fünften Verleihung in diesem Jahr gibt es also ein kleines Jubiläum zu feiern. 

Wie auch in den Vorjahren stehen zehn Bücher auf der Longlist zum Buchpreis und drei auf der Shortlist zum Debütpreis, mit denen Autoren, die ihren ersten Roman veröffentlichen, etwas gesteigerte Aufmerksamkeit bekommen sollen. 

Da es nur eine Überschneidung mit dem deutschen Buchpreis gibt, kann man noch auf eine ganze Menge frische Leseproben gespannt sein. Sehr schön ist es, dass man auf diese Weise, auf noch mehr Romane treffen kann, die einem sonst vielleicht nicht aufgefallen wären.

Ob es einen Favoriten gibt? Für einige mit Sicherheit. Ob es Nachschub für die Wunschliste gibt? Ja, keine Frage. Ein paar Bücher machen so neugierig, dass man gerne mehr lesen möchte. Die Mischung aus relativ unbekannten und etwas bekannteren Autoren ist sehr ausgewogen und auch von den angesprochenen Themen dürfte für jeden etwas dabei sein. 

So ein Buchpreis ist eine wunderbare Sache, auch wenn die meisten persönlichen Treffen in diesem Jahr weitgehend ausfallen, die Leseproben zum Buchpreis können immer gelesen werden und mit ihrer liebevollen Aufmachung sind sie eine tolle Werbung für die Autoren und ihre Bücher.


Man darf gespannt sein, wer beim österreichischen Buchpreis das Rennen machen wird.

Die Bekanntgabe der Shortlist des Buchpreises, die aus fünf Romanen besteht, wird am 08.10.2020 stattfinden. Am 09.11.2020 werden die Preise verliehen und damit die Gewinner vorgestellt.


Zum Kennenlernen der Buchpreisbücher und ihrer Autoren und Autorinnen sind die Leseproben des österreichischen Buchpreises 2020 eine feine Sache.


Gitarrensolo

Sein Chef fliegt nicht gerne, deshalb wird sein Aushilfsmitarbeiter Thomas Dupré nach Inverness geschickt, um eine seltene Gitarre auszuliefern. Der Abnehmer Lord Whinsley erweist sich als wahrer Kenner und als er Thomas erlaubt Gitarren aus seiner Sammlung auszuprobieren, schwebt dieser über den Wolken. Doch der Lord hat noch einen Auftrag für Dupré, er soll die seltenste Gitarre der Welt finden, eine Gibson Moderne, von der der Lord behauptet, sie sei ihm gestohlen worden. Ein geringfügiges Problem gibt es dabei, soweit bekannt, soll es von dem Instrument allenfalls Prototypen geben. 

Thomas, der eigentlich ein eher unbekannter Musiker, aber auch Journalist ist, ist von der Geschichte des Lords angefixt und natürlich lockt eine lukrative Belohnung. Er begibt sich also auf eine Spurensuche sowohl nach der Geschichte der Gitarre als auch nach einem möglicherweise tatsächlich noch existierenden Instrument. Er beginnt damit in seiner Heimatstadt Paris bei seinem Chef, der sogar ein paar kleine Hinweise für ihn hat. Bald weist jedoch vieles in die USA, die Heimat der Gibson Gitarrenbauer. Dupré reist zunächst nach Tennessee, um einem Post nachzugehen, den er in einem Internetforum gefunden hat. 

Über die Gibson Moderne aus dem Jahr 1957 lassen sich im weltweiten Netz einige wenige Informationen finden. Aus diesen hat der Autor einen ausgesprochen spannenden Musik-Thriller geformt. Zwar erscheinen einige wenige Szenen etwas over the top, aber insgesamt liest sich diese Spurensuche wie eine packende investigative Reportage mit persönlichem Touch. Dupré entwickelt sich dabei von einem relativ unbedarften Aushilfsverkäufer zu einem cleveren Detektiv, der sein Ziel nie aus den Augen verliert und sich auch nicht so schnell aus der Ruhe bringen lässt. Gerne hätte man einige seiner Beschreibungen der Musikstücke nachgehört, aber da hat der Autor wohl seine Phantasie spielen lassen. So muss man sich selbst die Vorläufer des Metall komponieren, was die Lektüre beinahe noch packender macht. 

4 Sterne

Vintage von Grégoire Hervier
ISBN: 978-3-257-24450-2

Montag, 7. September 2020

Wahrheit hinter der Lüge

Nach dem plötzlichen Tod ihrer Mutter wohnen die Schwestern Sara und Lina in Stockholm. Die beiden gehen sehr unterschiedlich mit ihrer Trauer um. Es sieht so aus, als würden sich Sara und Lina entzweien. Doch das Leben muss weitergehen und Sara nimmt ein Stellenangebot bei der Armee an. Schließlich hat sie den Militärdienst abgeleistet und damit eine gewisse Vorbildung. Sara ist sogar froh, dass sie zunächst in der Poststelle landet, denn für komplizierte Aufgaben fühlt sie sich noch nicht wieder gewappnet. Sara hofft, dass sie endlich Ruhe hat vor den unheimlichen Mächten, die ihr in letzter Zeit nach dem Leben getrachtet haben.

Ob dieser Traum zur Wahrheit wird? Zu Beginn dieses Abschlussbandes der Widerstandstrilogie sieht es nicht so aus. Noch immer weiß Sara nicht, wieso verschiedene Organisationen sie und genau genommen alle, die sie liebt, bedrohen. Sie weiß nur, dass sie manchmal nicht mehr sicher ist, ob sie ihre sieben Sinne noch beieinander hat. Es ist einfach zu mysteriös, wie ihre Widersacher wieder und wieder an sie herankommen. Sara sieht nur noch ihre engen Freunde Sally und Andreas als Vertraute an. Sonst herrscht in ihrem Leben keine Sicherheit mehr. Kann sie überhaupt noch jemandem vertrauen?


Der Abschlussband der Trilogie um die unheimlichen Erlebnisse der jungen Sara ist wirklich gelungen. Auch wenn die Informationen zu Beginn etwas langsam sprudeln und auch eher fragmentarisch erscheinen, gelingt es der Autorin immer wieder über strecken zu packen und zu konsternieren. Tatsächlich fängt man an, sich zu fragen, welche Informationen möglicherweise gesteuert gestreut werden. Dieses Wecken des Zweifels ist ausgesprochen gelungen. Da ist man mitunter beinahe froh, wenn es Momente zum Durchatmen gibt. Zum Finale hin wird es nochmal mächtig spannend. In einem furiosen Showdown treffen die Widersacher aufeinander und man kann lange nicht erahnen, wer schließlich am längeren Hebel sitzt. 


Der Abschluss der Widerstandstrilogie fesselt mit politischen und ökonomischen Zusammenhängen und die Wahrheit hinter den vielen Lügen zu entschlüsseln, fasziniert ungemein.


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)


Feuerrache von Louise Boije af Gennäs

ISBN: 978-3-95890-243-5




Sonntag, 6. September 2020

Aufs Ganze

Ins Banat ist Florentine ihrem Hannes gefolgt. Als neue Pfarrersfamilie bewohnen sie das zur Gemeinde gehörende Haus, dessen Türen immer offen stehen. Wie weit ab sie von der Zivilisation sind, merkt Florentine als sie befürchten muss, dass mit ihrer Schwangerschaft etwas schief gehen könnte. Zum Bahnhof gelangt sie mit einem Pferdefuhrwerk. Zum Glück geht alles gut, denn Samuel wird ihr einziges Kind bleiben. Hannes hat es als Pfarrer nicht immer leicht. Manchmal ist er unsicher wie er dem Leid in den Familien begegnen soll. Besonders wenn der Tod vor der Zeit Einzug hält in einem Haus.

Zu Beginn meint man, die Handlung spielt möglicherweise zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Doch da täuscht man sich, Geschätzt setzt die Geschichte in den 1970ern ein. Ein Besuch aus der DDR lässt die Familie eine andere Wirklichkeit erfahren, was den Vater durchaus in Gefahr bringen kann. In sieben Kapiteln erzählt die Schriftstellerin von Florentine und ihrer Familie. Auf den ersten Blick scheinen diese Geschichten nur wenig zusammen zu hängen. Doch je weiter man liest, desto mehr lernt man die intelligent durchdachte Storyline zu schätzen. Immer neue Facetten kann man entdecken. Auf erstaunliche Weise schließt sich endlich ein Kreis und die verwobenen Lebenswege finden zu einer ausgewogenen Ruhe.

Zu Beginn fragt man sich logischerweise nach dem Sinn, kein Wunder, denn man weiß nicht, was auf einen zukommt. Doch mit jeder Geschichte wird der Zusammenhang klarer und man wird immer mehr gefesselt von den Menschen, die über ihr Leben berichten. Sie alle haben ihren eigenen Blick auf die Zeit. Die Umwälzungen in Rumänien, aber auch die Zeit der Wende, hinterlassen Spuren in dem Erleben, der Lebenssicht. Etwas eigen wirken sie, aber auch stark und irgendwie so normal und gleichzeitig besonders. Dieser Roman schleicht sich nach und nach an, um lange in Erinnerung zu bleiben.


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)


Die Unschärfe der Welt von Iris Wolff

ISBN: 978-3-608-12000-4





Samstag, 5. September 2020

Drehbuch

Ihre Freundin Diana zieht zu Okko an die Nordsee. Loretta Luchs gönnt ihr das Glück, aber etwas traurig ist sie, etwas sehr. Deshalb ist es eine willkommene Abwechslung als sie die Theaterschauspielerin coachen soll. Isolde hat ein Drehbuch zu einem Fernsehfilm geschrieben, mit dem angelehnt an Lorettas Fälle ein Krimi entstehen soll, in dem eine Sexhotline-Mitarbeiterin durch Zufall in Kriminalfälle stolpert. Emily Eichberger übernimmt die weibliche Hauptrolle und sie hat darum gebeten, mehr über Lorettas Arbeit zu erfahren, um ihre Rolle authentischer gestalten zu können. Bald erfährt Loretta, dass Emily anonyme Anrufe erhält. Ein neuer Fall für Loretta?

Während ihres Urlaubs an der Nordsee haben Loretta und ihre Freunde den TV-Kommissar Harry Vaske kennengelernt. Und dieser hatte die Idee zu dem Film und er hat auch Emily für die Rolle begeistert. Nun soll es an die Vorbereitungen gehen. Loretta weiß nicht so so recht, was sie Emily erzählen soll und so nimmt sie die Schauspielerin kurzerhand mit zu ihrer Arbeitsstelle. Dort reagiert Emily ein wenig überrascht, dass in einem Callcenter doch nur normale Menschen tätig sind. Schließlich sieht man am Telefon sein Gegenüber normalerweise nicht. 


Auch in ihrem vierten Fall, bei dem es so scheint, als gebe es keinen Fall, taucht eine Leiche auf. Die Umstände des Todesfalls sind für Loretta nicht gerade schön. Der Leser ist dagegen gespannt, wie es mit der Sache weitergeht. Die anonymen Anrufe, ein Todesfall und die Aussicht auf einen Fernsehkrimi, das verspricht eine packende Geschichte, in der wie wir es von Loretta Luchs kennen auch der Humor nicht zu kurz kommt. Lorettas neuer Mitbewohner Baghira weckt sofort Sympathien und auch sonst wissen Loretta und ihre Freunde, den geneigten Leser gut zu unterhalten. Diese turbulente Krimireihe ist immer für ein paar lustige und spannende Lesestunden gut.


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)

 

Wenn der Postmann nicht mal klingelt von Lotte Minck

ISBN: 978-3-7700-1514-6


Donnerstag, 3. September 2020

Was wäre wenn?

Was wäre wenn sie nur noch eine bestimmte Zeit zu leben hätte? Mit dieser Frage muss sich die Tante Poldi diesmal beschäftigen. Sie ist mal wieder ganz unschuldig in einen Fall gestolpert. Nach einem Exorzismus ist eine junge Nonne verschwunden. Und offensichtlich gibt es Leute, die wollen, dass die Poldi aus Sizilien verschwindet. Und das, wo sie langsam heimisch geworden ist und gedacht hat, dass sie Freunde gefunden hat. Natürlich kann sie es nicht lassen, der Sache auf den Grund zu gehen. Und ihr Neffe und Chronist bekommt eine Geschichte in die Feder diktiert, bei der er nur für den grundsätzlichen Wahrheitsgehalt bürgt.

Poldis 61. Geburtstag naht heran. Und sie befürchtet, den Tag nicht zu überleben. Aber noch hat sie Zeit bis dahin. Vielleicht hilft ihr der Fall. Was aber, wenn sie eher Verzicht üben muss, um dem Tod zu entrinnen. Soll sie sich in eine dröge Langweilerin verwandeln, um ein paar Jahre herauszuschlagen? Oder soll sie die Zeit, die ihr möglicherweise bleibt, in vollen Zügen genießen. Poldi wäre nicht Poldi, wenn dazu nicht eine ganz eigene Meinung hätte. Zumindest eine Party wird es geben.


Nach dem Ausflug zum geschriebenen Wort, wird hier wieder ein Hörbuch genossen, so ist der Wechsel des Hörbuchsprechers nicht so abrupt. Denn auch Christian Baumann versteht sein Handwerk und mit seiner Poldi fühlt man sich wohl. Dass Poldi manchmal etwas zu unglaubwürdige Wendungen aus dem Hut zaubert, verzeiht man ihr gerne, denn mit ihrer schrulligen Art trägt sie zu einem kurzweiligen Zeitvertreib bei. Besonders zu Beginn ist das Rätsel um die schwarze Madonna sogar sehr spannend. Und nach drei Bänden ist das Wiedertreffen mit Tante Poldi, der Familie, dem Chronisten und allen anderen aus Torre Achirafi wie ein Heimkommen zu guten alten Freunden. An der der zurechtgebogenen Logik stößt man sich nicht groß, lieber genießt man die anheimelnde Stimmung, die Tante Poldi um sich herum verbreitet.


4 Sterne (🐳🐳🐳🐳)


Tante Poldi und die schwarze Madonna von Mario Giordano

ISBN: 978-3-7857-5953-0